2.10. -10.10.22 Rapa Nui

Ankerbucht Anakena

 Nach 15 Tagen auf See mit doch eingeschränktem Schlafangebot haben wir uns den Luxus geleistet, am Morgen etwas länger im Bettchen zu bleiben. Aber irgendwas war da doch? Hupen, Polizeisirene? Man ahnt es! Unsere Freunde von der Armada haben spitzbekommen, dass wir in Anakena ankern und schicken zur Begrüßung mal ein Vorauskommando. Also: In unvollständiger Garderobe (Unterhose) rausgeschaut, ein Jeep neben den sieben Moais (die charakteristischen Steinfiguren) gesehen, rüber winken, Funkgerät an und dann schwatzen wir gemeinsam. Sehr freundlich lädt man uns ein, in die Hauptstadt Hanga Roa zu kommen um die Formalitäten zu erledigen. Und, natürlich, bis dahin dürfen wir nicht an Land. So ziehen wir denn am Nachmittag los und verlassen diese wunderschöne Bucht. Hier war es wellen- und windmäßig sehr ruhig und nur 10 Meter Ankertiefe ist für Rapa Nui die absolute Ausnahme. Aber wir wollen ja auch was sehen und so geht der Umzug schon in Ordnung.

Bucht Hanga Roa

In Hanga Roa, der Hauptstadt (naja, überhaupt die einzige Stadt auf der Insel), werden wir sehr freundlich vom Hafenkapitän begrüßt. Uns wird ein Ankerplatz zugewiesen und (war ja auch zu erwarten) die Ankunft der Behörde für morgen angekündigt. Heute ist Sonntag! Bleiben wir halt noch einen Tag an Bord. Auch hier ist der Anblick der Insel beeindruckend und auch hier kann man schon vom Ankerplatz aus die Moais sehen.

Moais in Hanga Roa

Nur gibt es hier mehr Schwell (unruhiges Schiff) und 20 Meter Ankertiefe erfordert viel Kette und einen langen Ruckdämpfer. Es entsteht eine gewisse Unsicherheit, ob man dem Anker vertrauen kann.

Am nächsten Morgen ist dann das Schlauchboot der Behörden mit ca. 10 Mann bei uns. Glücklicherweise kommen nicht alle an Bord. Die Gesundheitsbehörde macht einen Corona-Test, was, wie die Kollegen selbst feststellen, nach 15 Tagen auf See irgendwie nicht viel Sinn ergibt. Viele Papiere werden wieder ausgefüllt, viele Fragen gestellt, Stempel der Armada, der Polizei … Auch hier ist Chile! Aber wir dürfen nun an Land, was wir auch gleich machen wollen.

Armada de Chile

Das Anlanden in Hanga Roa ist ein zumeist sehr sportliches Unterfangen. Schon von weiten sehen wir die Riesenbrecher, die die Hafeneinfahrt einrahmen. Auch die wellenreitenden Jungs im Wasser lassen nichts Gutes ahnen. Wir versuchen mit unserem kleinen Dinghy, heute nicht rudernd sondern mit unseren 4 PS-Außenborder unterwegs, die Ideallinie zu finden.

Hafeneinfahrt Hanga Roa

Nach hinten geschaut (kein Brecher zu sehen) und mit Vollgas rein in den Hafen. Uff! Das wäre erst einmal geschafft. Die großen Schildkröten, die im Hafen zu Hause sind, nicken zustimmend weise mit dem Kopf.

Hafenschildkröte

Wie wir wieder zurückkommen, ist dann ein anderes Problem. Jetzt müssen die schlappen Seglerbeine wieder aktiviert werden. Wir durchwandern die Stadt, freuen uns über viele kleine hübsche Geschäfte und Restaurants. Dann geht es weiter nach Vinapu, auf die Südseite der Insel.

Vinapu

Hoch auf den Felsen stehend betrachten wir das tosende Meer. Am nächsten Tag müssen wir hierher mit dem Boot umziehen, da Starkwind aus Nordwest ansteht und wir hier Schutz erwarten können. Aber heute bei südlichen Winden sieht es in Vinapu sehr ungemütlich aus. Hoffentlich ändert sich das noch! Der Hafenkapitän hat uns hier im Süden eine Mooring zum Festmachen empfohlen. Tatsächlich sehen wir eine kleine rote Boje, welche momentan auf den Wellen tanzt.

Vinapu

Zum Abend machen wir uns wieder auf den Heimweg. Sogar unsere Wasserkanister konnten wir hier im Hafen bei einem netten Anbieter von Tauchexkursionen auffüllen. Mehrfach werden wir hier in den nächsten Tagen noch auftauchen zum Wassertanken. Eine Bezahlung lehnt der Chef ab, obwohl Wasser auf Rapa Nui nicht in verschwenderischer Fülle vorhanden ist.

Am nächsten Tag verzichten wir auf das Anlanden. Am Ankerplatz herrscht viel Schwell und dementsprechend ist auch die Brandung an der Hafeneinfahrt für uns unüberwindlich. Am Abend ziehen wir dann auf die Südseite der Insel, finden die Mooring und verbringen eine friedliche Nacht mit relativ wenig Bewegung im Schiff. Der nächste Tag mit Starkwind ist dann zwar etwas unruhiger, aber an unserer Mooring mit dem armdicken Seil fühlen wir uns doch recht sicher. Der Tag vergeht mit den notwendigen kleineren und größeren Arbeiten an Bord. Zum Abend wird der Schwell  immer unangenehmer. Das Boot schwankt dermaßen widerwärtig um die Längsachse, dass hier die Löcher aus dem Käse fliegen und an Schlaf nicht zu denken ist. Trotz unserer vertrauenerweckenden Mooring haben wir es uns angewöhnt, immer auch einen Ankeralarm zu aktivieren. Und dieser trötet mitten in der Nacht los. Die Position des Bootes hat sich deutlich verschoben. Wir schauen raus und sehen das dicke Seil der Mooring schlaff im Wasser treiben. Anscheinend hat es sich in ca. 20 Meter Tiefe an den Korallen durchgescheuert. Das aufgefaserte Ende ist zu sehen. Die Küste mit der tosenden Brandung ist schon sehr nahe und nun muss es schnell gehen. Die Leine wird gelöst, der Motor gestartet und nun nichts wie weg hier. Das hätte auch anders ausgehen können!

Ankerbucht Vinapu

Da wir am nächsten Tage sowieso wieder nach Hanga Roa umziehen wollten, können wir das jetzt auch in der Nacht machen. Irgendwann gegen 3 Uhr morgens werfen wir den Anker wieder an gleicher Stelle wie vor 2 Tagen. Auch hier ist das Meer in Aufruhr, ähnlich unserem momentanen Befinden. Das Boot zappelt in den Wellen und wir ahnen jetzt permanent weitere Katastrophen und peilen mehrfach die Ankerposition. Irgendwann kommt die rettende Morgendämmerung und eine aufreibende Nacht geht zu Ende. Auch heute bleiben wir lieber an Bord. Riesige Wellen sind zu sehen und das Tosen der Brandung nicht zu überhören. Wir wussten, dass es hier schwierig werden wird.  Aber in 6 Tagen bisher nur einmal an Land? Das ist doch nicht in Ordnung. So kommt dann der 7. Tag und heute wollen wir rüber. Einkaufen, Wasser auffüllen, was erleben! Bei der Rückkehr mit vollen Wasserkanistern und prallen Einkaufstaschen steht auf einmal vor dem Dinghy wie aus dem Nichts ein riesiger Brecher vor uns. Zurück geht nicht mehr, also vorwärts! Wir kentern zum Glück nicht, aber das Schlauchboot schlägt voll Wasser und die Schwimmweste des Maschinisten, ausgelöst durch die Welle, bläst sich auf. Aufatmen bei der Rückkehr zur guten alten Esmeralda! Das hätte auch schlimmer kommen können. Am Nachmittag haben wir uns mit einem Freund von unserem lieben Bekannten Sebastien verabredet. Also geht es noch einmal zurück. Patrice, ein französischer Segler, der schon seit vielen Jahren auf Rapa Nui lebt, empfängt uns am Hafen und wir verbringen einen schönen Nachmittag gemeinsam. Dann gilt es aber noch ein paar Dinge zu erledigen:

Da es auf Rapa Nui keine Firma gibt, welche die aufgeblasene Schwimmweste warten könnte, müssen wir eine neue kaufen. Zum Glück finden wir ein Geschäft hierfür.

Wir wollen morgen mit einem Mietwagen nun endlich die Insel erkunden. Dafür muss man als Tourist eine Art Eintrittskarte für die Insel erwerben. Dies ist zwar nicht ganz billig, aber wir haben Verständnis dafür, dass man Geld braucht, um die vielen Hinterlassenschaften der polynesischen Siedler zu erhalten. Weniger Verständnis haben wir dafür, dass man zum Besuch der interessantesten Stätten auch einen einheimischen Führer braucht, welcher dann den ganzen Tag mit uns unterwegs wäre und auch bezahlt werden muss. Als Alternative könnte man sich auch mit einem lokalen Anbieter einer Reisegruppe anschließen und wäre dann mit einem Bus unterwegs. Auch das gefällt uns nicht und wäre noch teurer gewesen. So beschließen wir, auf eigene Faust unterwegs zu sein. Irgendwie ist es doch immer gegangen! So besorgen wir uns noch einen Mietwagen für den nächsten Tag und nun müssen wir wieder nach Hause. Mit Besorgnis schauen wir auf die Brecher. Unser kleiner Außenborder ist viel zu schwach, um mit der nötigen Geschwindigkeit schnell aus der Gefahrenzone zu kommen. Geduldig warten wir mit laufendem Motor an der Ausfahrt auf ruhige See. Aber auch jetzt steht wieder eine Welle wie eine Wand plötzlich vor uns und wieder einmal wird es im Boot sehr nass. Aber zum Glück brauchten wir wieder nicht die Eskimorolle trainieren.

Am nächsten Tage, dem Tag unseres Ausflugs, ist es nun doch endlich ruhiger geworden. Sowohl Esmeralda schwankt nicht mehr allzu sehr in der Dünung und auch die Wogen an der Hafeneinfahrt sind überschaubar. Wir können unseren bereits recht ramponierten Jeep in Empfang nehmen und machen uns auf den Weg. Rund 800 Moais sind über die ganze Insel verteilt zu besichtigen. Außerdem gibt es noch einige Kultstätten, Höhlen mit Felszeichnungen und vor allem Rano Raraku, die Steinfigurenwerkstatt im Vulkankegel!

Vulkankegel
Vulkankegel

Die Eindrücke sind mit Worten schwer zu beschreiben. Die Steinfiguren wurden aus dem Vulkangestein gemeißelt, sind 2 – 250 Tonnen schwer und wurden dann auf immer noch nicht vollständig geklärte Weise über die ganze Insel transportiert und aufgerichtet.  In dem Steinbruch von Rano Raraku kann man viele unvollendete Moais bewundern und bekommt eine Ahnung, wie viel Arbeit in die Herstellung dieser Figuren investiert wurde. Die einst vollständig bewaldete Insel wurde, vermutlich um den Transport zu realisieren, abgeholzt, aber man hat sich damit auch der Lebensgrundlagen beraubt. Es kam zu Kämpfen zwischen den polynesischen Stämmen um die letzten Ressourcen, man kippte sich gegenseitig die Steinfiguren um und zum Schluss reichte das wenige Holz nicht einmal mehr, um Kanus zu bauen, um die zunehmend unbewohnbarer werdende Insel zu verlassen. So fand dann der holländische Entdecker Roggenween 1722 eine recht reduzierte Population polynesischer Bewohner hier vor.

Wir werden im Laufe des Tages immer nachdenklicher. Wieso hat man anscheinend alle wichtigen Lebensnotwendigkeiten vernachlässigt und sich dermaßen auf die Herstellung dieser enorm ressourcenbindenden Steinfiguren konzentriert? Wird eventuell auch einmal eine ähnlich nachdenkliche Folgegeneration oder gar eine außerirdische Intelligenz unsere Luxusprodukte beschauen und in den Händen drehen, sich über deren Bedeutung nicht im Klaren sein, aber sich fragen, warum man sich nicht besser um die Erhaltung der Lebensgrundlagen gekümmert hat statt Güter ohne Ende zu produzieren?

Übrigens sind wir auch ohne Führer ganz gut klargekommen. Manchmal mussten wir uns am Hintereingang an den Wachen vorbeischummeln, manchmal etwas größeren Abstand zu den eh riesigen Figuren einhalten, viel Freude haben wir aber an dem Tag gehabt und viel Interessantes gesehen.

Wieder an Bord treffen wir die Entscheidung, am übernächsten Tag weiter westwärts zu ziehen. Die Bedingungen für ein Segelboot sind hier nicht die Besten. Das Wetter ändert sich schnell. Kein Ankerplatz ist wirklich sicher und die Art und Weise der Landung erst recht nicht. Wir haben unser Schicksal genug herausgefordert und hatten bisher viel Glück gehabt.

Wir treffen aber am nächsten Tag noch einmal Patrice, verleben sehr intensive Stunden miteinander und trennen uns am Abend mit Wehmut.

Abschiedsgeschenk von Patrice
Abschiedsgetränk

Am 10. Oktober kommt noch einmal die geballte Staatsmacht an Bord. Papiere, Stempel… Wir versprechen, bis zum Erreichen von Pitcairn, unserem nächsten Ziel, weiterhin täglich unsere Positionsmeldung per Mail an die Armada zu schicken und dann geht es los.

Rapa Nui verschwindet langsam hinter uns, wir holen die chilenische Gastflagge herunter und ziehen ein Resümee. Chile wird uns einerseits wegen der wunderbaren Natur und der Erlebnisse insbesondere in Patagonien in Erinnerung bleiben. Aber auch die Menschen haben bleibende Eindrücke hinterlassen. Wir haben einige Personen kennengelernt, zu denen wir eine tiefere Beziehung aufbauen konnten und wo sich Gespräche über Persönliches und Politik ergaben, wo wir die Familie kennlernten und schnell integriert waren. Dies war doch ein Unterschied zu den oft flüchtigen und oberflächlichen Seglerbegegnungen. In den Gesprächen stellte sich erstaunlicherweise fast immer heraus, dass wir zu den für uns interessantesten chilenischen Ereignissen (die Allende-Zeit, der Militärputsch und die anschließende lange Pinochet-Diktatur, die derzeitige Abstimmung über eine neue Verfassung) völlig unterschiedliche Ansichten hatten. Anfangs empfanden wir das als beinahe schmerzlich und dachten, wie denn nur so ein angenehmer Mensch so falsche, konservative Ansichten haben kann. Aber dann veränderte sich auch bei uns etwas: Versucht man den Blickwinkel der anderen Person mal einzunehmen, ändert dies zwar nicht die eigene Haltung, aber man bekommt Verständnis, wird toleranter und konzentriert sich eher auf das Verbindende.  Automatisch stellt sich dann die Frage, ob es nicht auch in der großen Politik besser wäre, sich nicht gegenüber einzelnen Ländern oder Politikern abzugrenzen, sondern zu versuchen, den gegnerischen Denkansatz zu erahnen und auf der Basis der übereinstimmenden Grundsätze immer wieder das Gespräch zu suchen.

11.10. – 19.10.22 Pazifik

Wir kommen in den ersten Tagen flott voran. Die Bedingungen sind gut, der Wind stimmt und das Boot rauscht dahin. Diese Phase wird herb unterbrochen als es (natürlich!) in der Nacht bei nur mäßigem Wind am Bug einen lauten Knall gibt. Es ist schnell klar, dass der Beschlag, der das Vorstag mit der Genua und der Rollfockanlage am Vorschiff fixiert, gebrochen ist. Die Furlex (Rollanlage für die Genua) schleudert bösartig durch die Gegend und muss irgendwie gesichert werden. Doch zu allererst muss der Mast gerettet werden. Vermutlich haben wir es dem achterlichen Wind, der den Mast nach vorne drückt, zu danken, dass selbiger jetzt nicht in der Waagegerechten auf dem Schiff liegt. Wir ziehen ein Fall auf das Vorschiff und setzen dieses durch, so dass der Mast nun auch wieder nach vorne fixiert ist. Jetzt bändigen wir die Furlex und sichern sie in alle Richtungen mit Leinen. Den Rest der Nacht verbringen wir mit dem Basteln eines Beschlages, der das Vorstag wieder sicher hält. Am Morgen im ersten Tageslicht können wir tatsächlich wieder das Vorsegel setzen und können uns auf den Weg machen. Zum Glück hatten wir relativ friedliche Wetterbedingungen und erfreulicherweise auch einen Grundstock an Ersatzteilen bzw. Notbehelfen an Bord. Trotzdem segeln wir jetzt sehr defensiv und nutzen mehr die kleinere Kutterfock um die Last und die Bewegungen am Vorstag zu reduzieren. Im Nachhinein fragen wir uns, wie ein relativ kräftiger Beschlag von 5 mm Edelstahl, übrigens von einem Rigger auf Martinique vor 4 Jahren eingebaut, brechen kann. Erschwerend kommt nun auch noch für 2 Tage Starkwind, leider auch noch gegenan, auf uns zu. Doch auch das geht vorüber, allerdings bleibt die sehr hohe Pazifikwelle seitdem konstant bestehen. Der 2. Teil der Überfahrt nach Pitcairn ist nicht mehr allzu entspannt. Das Boot rollt, die Besatzung findet wenig Schlaf und denkt schon darüber nach, wie die anstehende Reparatur anzugehen ist. Fachliche Hilfe ist in den nächsten Wochen nicht zu erwarten.

Aber eines Morgens, es ist der 20.Oktober, ist nach 1100 Meilen und 10 Tagen auf See die Kontur der Insel Pitcairn, des legendären Unterschlupfs der Bounty-Meuterer, am Horizont zu sehen.

08.09.22.-01.10.22 Überfahrt von Valdivia nach Rapa Nui

Nun heißt es mal wieder Abschied nehmen. Von Valdivia, von Raúl, von den Hunden, von unserem Liegeplatz, von.…  Schluss mit dem Gejammer! Es war eine lange Zeit in Chile und wir müssen endlich weiter. Der Ozean ruft.

Abschied von Raul

Am Abreisetag ist der Vormittag für die Behördengänge verplant. Dank Raúl geht alles sehr flott. Er fährt uns und ist bei fehlenden Sprachkenntnissen behilflich. Auf dem Rückweg noch ein letzter Halt im Obst,- und Gemüseladen.

Um 16:00 Uhr wollen wir dann mit dem Strom auslaufen. Auch die Armada erscheint zum Winken. Ein letztes Mal dürfen wir den bekannten Fragebogen beantworten. Wie lange reichen unsere Lebensmittel? Wie viel Liter Wasser und Diesel haben wir an Bord? Dann unsere Lieblingsfrage, wann kommen wir an? Eine interessante Frage bei 1800 Seemeilen.  

Bevor es für uns hinaus auf den Pazifik geht, beschließen wir noch eine Nacht in Coral zu ankern, so müssen wir nicht gleich in die Nacht hinaus.

Abschied von Valdivia
Bucht von Coral

Auf offener See für längere Zeit ist lange her. Das spüren wir. Appetitlosigkeit, Unwohlsein und Schlappheit begleiten uns die ersten 3 Tage. Dann wird es besser und der Körper hat sich wieder an die Schaukelei gewöhnt.  

Isla Juan Fernandez

Nach 480 Seemeilen und 4 Seetagen erreichen wir die Isla Juan Fernández. Auch Robinson Crusoe Insel genannt, nach dem gleichnamigen Buchklassiker von Daniel Defoe. Der Schriftsteller fand die Inspiration für sein Buch, durch den 1704 ausgesetzten Schotten Alexander Selkirk auf dieser Insel. Selkirk ließ sich, nach anhaltenden Streitigkeiten mit dem Kapitän des Kaperschiffs Cinque Ports, auf der Insel aussetzten. Er  verbrachte dort 4 Jahre und 4 Monate. Er überlebte und wurde gerettet.

Die Bahia Cumberland  erreichen wir tatsächlich bei Tageslicht und melden uns über Funk bei der Armada. Wir erhalten nicht nur eine Ankererlaubnis, uns wird sogar eine Mooring angeboten. Den folgenden Satz hätten wir am liebsten überhört. Bedingt durch Corona ist die Insel gesperrt. Wir dürfen sie nicht betreten. 

Was für eine Tragödie! Da ist man nun endlich da und dann so was.

Wenigstens können wir verschnaufen, durchschlafen und im Reiseführer nachlesen, welche Sehenswürdigkeiten wir auf der Insel verpassen. 

Vielleicht hätten wir mit Geduld und Hartnäckigkeit es irgendwann an Land geschafft. Diese haben wir aber diesmal nicht. Es liegen  immer noch 1300 Seemeilen vor uns und wir wollen die Nahrung nicht schon vorher aufbrauchen. 

Unseren Wassertank hätten wir aber gerne wieder voll. So Fragen wir die Armada, ob es möglich sei, Wasser zu bekommen. Dieses wird bejaht. Bewaffnet mit Maske, Schwimmweste und Wasserkanistern springen wir ins Dinghy und sausen zum Ponton. Dort werden wir erwartet. Die Kanister werden uns abgenommen, gefüllt und zurückgebracht. Wir dürfen ja nicht an Land, daher bleiben wir einfach sitzen. Wir sausen dann zurück und füllen den Tank. Das Ganze wiederholen wir 4 Mal, ohne mühsames Abschleppen. So schlecht ist das Corona gar nicht.

Ein kräftiger Wind lässt die Nacht sehr ungemütlich werden. Das Verholen an die Mooring gibt zwar mehr Sicherheit, aber bietet keinen Schutz. Esmeralda ist den anrollenden Wellen ausgeliefert, tanzt, dreht sich und schmeißt sich von einer auf die andere Seite. Wir uns natürlich auch. An Schlaf ist nicht zu denken, sind wir doch mit festhalten beschäftigt, um nicht aus dem Bett zu fallen. Am nächsten Tag heult der Wind immer noch, laut Wetterbericht soll er aber im Laufe des Tages nachlassen. So beschließen wir abzulegen. Schlecht Schlafen können wir auch unterwegs.

So und nun beginnt der entspannte Teil der Reise, denkt sich der Daheimgebliebene jetzt bestimmt. Die Windsteuerung macht den Job und die Besatzung legt die Füße hoch.

Tja, ganz so einfach verhält es sich leider nicht. Hier und da müssen wir an den Segeln zupfen, schnelles Reffen bei Starkwind, Ausreffen bei wenig Wind, Kontrollgänge an Bord, Überprüfung der Frischwaren, Wetterberichte empfangen, studieren und auswerten, Kurs bestimmen, Essen kochen, schlafen (Schlafmangel durch die Nachtwachen versuchen wir  am Tage nachzuholen). Mit anderen Worten, wir sind gut beschäftigt und Fragen uns manchmal am Abend: „Wo ist eigentlich der Tag geblieben?“

Ja und dann gibt es die kleinen und großen Überraschungen, die uns ereilen. Gerne passieren sie in der Nacht. Zum Beispiel haben wir in einer stürmischen Nacht, die Genua badend im Wasser vorgefunden. Ein Schäkel muss gebrochen sein. Ein Vergnügen war das nicht, die Genua zu Bergen. Sauschwer ist sie geworden. Schlimmer dann das Hochziehen. Heldenhaft ist noch viel zu milde ausgedrückt für die Beschreibung des Kapitäns, der sich dann am nächsten Tag in schwankender Höhe die Umgebung anschauen durfte, während er den oben gebliebenen Fallschlitten wieder nach unten ziehen musste. Das Bodenpersonal stand derweil  kurz vor einer Ohnmacht vor Angst.

Segeln mit Spinnaker

Nun aber genug von den Überraschungen. Wir wollen Euch nicht langweilen.

Einen direkten Kurs auf Rapa Nui können wir nicht steuern. Da befindet sich ein Hoch, was wir umfahren wollen. Denn Flaute ist auch nicht  Wunsch eines Seglers. So ist unser Kurs erst einmal strikt nordwärts. Ab dem 27. Breitengrad können wir dann endlich westwärts ziehen.

Schönwettersegeln

Hier ändert sich nun auch allmählich das Wetter. Es wird endlich wärmer!

Tagestemperatur von 20 Grad wird erreicht

Der Kurs beschert uns die Möglichkeit, dicht an der mysteriösen Insel Sala y Gomez vorbeizusegeln. Auf unseren Seekarten hat sie etwas gespenstisches, da sie beim Zoomen jedes Mal verschwindet. Ein Phantom oder ist sie nur nicht vermessen? Unsere Neugierde wächst. Von Raúl hören wir, dass es möglich ist, dort auf 30 Metern zu ankern. Mitten im Pazifik. Spannend. Und wir können den kommenden Westwind abwettern, denken wir uns. 

Isla Sala y Gomez

Ein paar Seemeilen weiter ist es soweit. Es gibt sie wirklich. Die Insel erscheint in unser Blickfeld. Wir haben sie umbenannt in „Wallace and Gromit“, nach den britischen Animationsfilmen, da das Ganze so Unwirklich erscheint. Beim Näherkommen wird uns relativ schnell klar, dass man freiwillig hier nicht ankert. Die Welle ist hoch und die tosende Brandung schlägt gegen die Felsen. Ein Anblick der uns Erschaudern lässt. Somit schießen wir nur ein paar Fotos, begrüßen einen Fregattvogel und bekommen einen Wal zu Gesicht. Dafür hat es sich gelohnt. Zufrieden setzen wir wieder Segel.

Isla Sala y Gomez

Die letzten 200 Meilen sind anstrengend, der Wind von vorne. Das Boot knallt immer wieder unsanft in die Welle. Alles knarzt an Bord.  Dann ist es geschafft. Wir erreichen am 01.10.22 nach 15 Tagen, mit den letzten Sonnenstrahlen, die Bucht Anakena auf Rapa Nui. 

Rapa Nui

Überfahrt zur Osterinsel


14.08. – 07.09.2022   noch immer Valdivia, aber auch Valparaiso und Santiago de Chile

Die Rahmenhandlung für den Beginn unserer Reise in den Norden des Landes ist massiver Dauerregen und Sturm. Das Wetter ist so grässlich, dass wir am Flughafenschalter des wunderbar übersichtlichen Aeropuerto Valdivia von der Empfangsdame gewarnt werden, dass der Flug ausfallen oder verspätet starten könnte, da sie Angst hätten, dass ihre Flugzeuge kaputt gehen könnten. Das verstehen wir natürlich. Doch, oh Wunder, alles beruhigt sich bald ein wenig und pünktlich landen wir letztendlich in Santiago de Chile.

Für den Abend haben wir gleich Großes vor: Das Teatro Muncipal zeigt heute das Ballett Giselle, was wir gerne sehen wollen. Um 18 Uhr erreichen wir das Hotel und um 19 Uhr soll die Vorstellung starten. Karten haben wir zwar noch nicht, aber eigentlich sollte dies doch möglich sein. Jedoch bestellt der Hotelangestellte statt des normalen Taxis einen Freund, welcher lange auf sich warten lässt und uns dann für unverschämte 18000 Pesos zum Theater bringt. Die Gringos beschließen, die zukünftigen Transportfragen lieber wieder selbst in die Hand zu nehmen.

Mittlerweile ist es bereits 19.10 Uhr und am Kartenschalter stehen noch einige Menschen vor uns. Man deutet uns an, dass warten zwecklos ist und wir besser gehen sollten. Unsere Südamerika-Erfahrung sagt uns aber was anderes und wir bleiben stehen. Kurze Zeit später haben wir tatsächlich 2 Karten. Als wir den Saal betreten, übrigens zeitgleich mit dem Dirigenten, gibt es spontan tosenden Applaus.  Großartig! Hier werden Segler noch geachtet.

Wir erleben eine beeindruckende Aufführung, die vom enthusiastischen Publikum immer wieder durch stürmischen Beifall unterbrochen wird.

Am nächsten Tage wollen wir erst einmal weiter nach Valparaiso und Viña del Mar, da das Wetter in Santiago schlechter werden wird. Dazu nehmen wir einen Überlandbus, welche hier in halbstündigen Abständen fahren, pünktlich, bequem und sehr schnell sind. Es herrscht wieder einmal große Begeisterung bei uns über die phantastischen Transportmöglichkeiten in Chile!

Valparaiso ist genau so schön, wie wir es erwartet hatten. Kleine bunte Häuser, die am Hang kleben, der Pazifik bis zum Horizont, verwinkelte Gassen und überall interessante junge Menschen. Noch am Sonntag wollen wir unseren Kollegen (Blogschreiben ist ja auch Schriftstellerei) Pablo Neruda besuchen. Eines seiner Häuser steht ja hier, doch er macht es uns nicht so leicht. Ein widerwärtiger Regen („Wir sind ja gleich da!“) durchnässt uns komplett und bei Eintreffen (16 Uhr!!!) schließt die Gedenkstätte vor unseren Augen. Da bleibt nur noch das Kino („Persepolis“, ein wunderbarer Film), damit wir etwas abtropfen können.

Kino in Valparaiso

Mit trockener Garderobe tauchen wir dann abends in die bunte Welt der Gastronomie ein. Abwechslungsreich, meist grandioser Blick über den Pazifik und mal richtig stimmige Atmosphäre. Ja, Herr Neruda wusste schon, wo man ein Haus bauen sollte.

Wir fahren am nächsten Tage nach Viña del Mar, der Badewanne der Republik Chile. Der Ort ist mittlerweile fest an Valparaiso angewachsen; beide Orte haben im Laufe der Jahre etwas an den Hüften zugelegt. Die komfortable Metro bringt uns hinüber und wir steigen mal einfach irgendwo aus. Später hören wir von unseren Vermietern, dass man entweder Valparaiso mag oder Viña del Mar. Wir mögen eindeutig Valparaiso! Hochhäuser und Zäune verdecken das Meer, viel Verkehr, Touristennepp… Was mag hier erst im Sommer los sein? Schnell verdrücken wir uns in den Jardin Botanico. Ach, wie ist es nicht schön! Ruhe, die aufblühende Natur und sogar Schildkröten bringen den Puls der anscheinend nicht mehr belastbaren Besatzung des Segelschiffes Esmeralda wieder auf Normalmaß.

Und was uns auch erfreut: Typisch südamerikanisch hatte eine Dame eine Geschäftsidee und fährt die Kundschaft in ihrem schrottreif anmutenden Gefährt von der Metrostation zum ca. 3 km entfernten Botanischen Garten. Und natürlich auch wieder zurück!

Die letzten Kilometer laufen wir dann am Meer entlang, schauen etwas sehnsüchtig über den Pazifik und grüßen unsere Freunde, die Seelöwen, die auch hier eine Niederlassung haben.

Am nächsten Tage machen wir uns wieder auf den etwas längeren Weg zur Neruda-Gedenkstätte. Erstaunlicherweise ist auch heute (Dienstag!) hier geschlossen. Man hätte das sicher herausbekommen können und so wollen wir uns hier nicht weiter erregen.

Am Mittwoch soll es wieder zurück nach Santiago gehen. Der großzügige Fahrplan der Busse gibt uns aber genug Zeit, heute nun endlich das wunderschöne Haus von Pablo Neruda zu besuchen. Viele kleine verwinkelte Zimmer, turmartig übereinander gebaut und angefüllt mit Erinnerungsstücken und Kuriositäten aus aller Welt, lassen bei uns eine Ahnung entstehen, wie man den süßen Nektar aus der Blüte des Lebens zu saugen hat.

Haus von Pablo Neruda

Zurück in Santiago werden Pläne gemacht zur kulturellen Eroberung der Stadt. Es gibt jede Menge Museen, ein weiteres Neruda-Haus, drei Jazzclubs, viele Parks und sogar Berge mitten in der Stadt. Da wir gerade so schön dabei sind, besuchen wir noch am gleichen Tag das Neruda-Haus in Santiago. Dies war übrigens sein Liebesnest mit seiner Nicht-Ehefrau. Ähnlich angelegt wie das Haus in Valparaiso erfreuen wir uns an den vielen kleinen Dingen, mit denen das Haus angefüllt ist.

Seit mehr als vier Jahren träumen wir davon, mal wieder Ski zu fahren. Hier nun endlich lässt sich dies recht einfach realisieren. Die schneebedeckten Anden sind schon von Santiago aus gut zu erkennen. Mit einer lustigen Truppe von Brasilianern fahren wir im Kleinbus in das Valle Nevada, leihen hier die Ausrüstung und erleben einen wundervollen warmen und sonnigen Tag auf frisch gefallenem Schnee. Leider hatte die eilig gebildete Organisationsabteilung für Winterexpeditionen des Segelschiffes Esmeralda die Sonnencreme vergessen, so dass wir uns die nächsten Tage mit verbrannter roter Gesichtshaut der Welt zeigen müssen. Aber es war doch wunderschön…

Tagsüber erfordern die vielen Museen unsere ganze Energie. Mehrere Abende verbringen wir in einem der Jazzclubs, wo jeden Tag hochkarätige chilenische Musiker auftreten.

Und da wir nun schon zwei Neruda-Häuser gesehen haben, wollen wir jetzt die Serie komplett machen und fahren mit dem Bus ins südlich von Valparaiso gelegene Isla Negra. Es handelt sich hier nicht um eine Insel, wie der Name vermuten lässt, sondern um ein kleines Dorf am Pazifik. Hier huldigen wir nun also nochmals dem großen Meister, sehen wieder ein Haus in Form eines wunderbaren Gesamtkunstwerkes, angefüllt mit Raritäten aus aller Welt.

Am schönsten ist aber die Wanderung am Ufer zurück. Über Felsen und Bäche klettern wir etwas halsbrecherisch und sind froh, als wir irgendwann wieder einen Zugang zur Zivilisation finden.

Die neugewonnenen Eindrücke von Santiago vermischen sich bei uns mit den Bildern vom Militärputsch 1973, welche auch nach 50 Jahren noch vielen Menschen sicherlich bekannt sein dürften.

Wir stehen nachdenklich vor dem Regierungsgebäude La Moneda. Hier muss irgendwo das wohl letzte Foto von Allende entstanden sein, mit einem Stahlhelm auf dem Kopf und gen Himmel schauend. Das Museum „Solidarität mit Salvador Allende“ ist nur in einer Ebene zu besichtigen und wird ansonsten gerade umgestaltet (wie übrigens viele Museen vermutlich in der Nichtsaison nur teilweise zu besichtigen sind oder auch komplett geschlossen sind). Aber zum ganz besonderen Erlebnis wird der Besuch des Nationalstadions bzw. der dortigen Gedenkstätte. Hier hatte man nach den Massenverhaftungen ca. 40 000 Menschen interniert, verhört und gefoltert und vermutlich auch einige Menschen umgebracht.

Wir hatten uns nach den Öffnungszeiten erkundigt und stehen morgens um 10 Uhr pünktlich am Tor, welches zu ist. Der Wachdienst teilt uns mit, dass die Gedenkstätte geschlossen ist und bestenfalls durch eine Online-Anmeldung in den nächsten Tagen ein Besuch möglich wäre. Wir bleiben hartnäckig, berichten wahrheitsgemäß, dass es sich um unseren letzten Tag in Santiago handelt und bitten um eine Ausnahme. Irgendwann holt man den Leiter der Gedenkstätte, welcher erst einmal die uns nun bekannten Argumente wiederholt. Aber dann dürfen wir doch eintreten und nun führt uns Marcello fast 2 Stunden lang durch die einzelnen Abteilungen. Er erklärt, beantwortet unsere Fragen und zeigt eine unendliche Geduld. Wir sehen die Umkleidekabinen des Schwimmbades, wo die Frauen inhaftiert waren, sehen die dunklen Gänge unter dem Stadion, wo verhört und gefoltert wurde und können auch einen Blick in das Stadion werfen. Hier hat man in einem kleinen Abschnitt zum Gedenken die alten Holzbänke belassen, so dass man einen beklemmenden Eindruck bekommt, wie die Gefangenen hier Tag und Nacht, nicht wissend, was mit ihnen passieren wird, verbracht haben. Viele Fotos und Texte dokumentieren das Geschehen und durch eine große Anzahl von Namen, Lebensläufen und Porträtfotos versuchte man Einzelschicksale der Anonymität zu entreißen. Wir sind erstaunt, wie viele Ausländer (auch Deutsche) anscheinend ohne Angst vor Protesten der Heimatländer der Freiheit beraubt wurden. Viele Ermordete wurden später irgendwo in der Stadt oder im Rio Mapuche treibend von den Einwohnern gefunden. Das Regime unternahm keinerlei Anstrengungen, seine Brutalität zu verbergen, sollte doch das Volk eingeschüchtert werden. Außerdem wusste man ja auch, dass die USA das Handeln der Junta unterstützte und mit organisiert hatte.

Im November 1973 wurde das Lager wieder geräumt. Die meisten Gefangenen wurden in Konzentrationslager nach Patagonien oder in die Atacama-Wüste verbracht, allerdings auch einige Personen freigelassen. Der Grund für die Räumung war das im November stattfindende Qualifikationsspiel für die Fußball-WM zwischen Chile und der Sowjetunion. Die Russen taten das einzig Richtige, was man tun konnte! Sie reisten gar nicht erst an, da sie sich weigerten, in einem Konzentrationslager Fußball zu spielen. Keine Skrupel hatte anscheinend der österreichische Schiedsrichter Erich Linemayr dieses Spiel zu „pfeifen“. Noch Jahre später sah er das Ereignis eher als skurrile Anekdote, da doch die chilenische Mannschaft alleine auf dem Feld stand und dann den Ball ins gegnerische Tor kullern ließ. Da kein Gegner zum erneuten Anstoß zur Verfügung stand, wurde nunmehr diese peinliche Aktion beendet. Auch damals schon nicht von moralischen Grundsätzen belastet, wertete die FIFA dieses „Spiel“ als für Chile gewonnen und somit fuhr das Land zur WM nach München.

Zum Ende des Besuches umarmt uns Marcello schweigend. Mehr gibt es nicht zu sagen.

Aber auch die politischen Ereignisse der Gegenwart bewegen uns und vor allem auch die chilenische Bevölkerung. Im Jahre 2019 hat man sich durch eine Abstimmung für eine neue Verfassung ausgesprochen. Die alte Verfassung wurde zwar wiederholt nach Pinochets Abtreten bearbeitet und revidiert, stammt aber doch letztendlich aus dem Jahre 1980, also aus Zeiten der Militärdiktatur. Wir haben versucht, mit unseren Bekannten hier aber auch mit Zufallsbekanntschaften über die Vor- und Nachteile der neuen Verfassung zu sprechen. Ein klares Bild hat sich nicht ergeben. So mancher fühlt sich von der Menge an Veränderungen (Recht auf Abtreibung, mehr Rechte für die indigene Bevölkerung, Wasser als Grundrecht und -besitz für alle, Pflicht zum Umweltschutz etc) überfordert, auch dass die Verfassung angeblich von Laien verfasst wurde und dementsprechend nicht anwendbar ist, hörten wir manchmal. Hilfreich zur Meinungsbildung waren die vielen Demonstrationen auf den Straßen jedenfalls nicht! Menschen, die chilenische Fahnen schwenken und entweder „Aprueba“ (Zustimmen!) oder „Rechaza“ (Ablehnen!) brüllen, brachten uns einer Meinungsbildung nicht näher. Wie nun jeder weiß, wurde der Verfassungsentwurf am 4.September abgelehnt und hoffentlich bleibt man an dem Thema weiterhin dran und kann die doch sinnvoll klingenden Punkte (s.o.) einarbeiten.

Einen letzten Höhepunkt gibt es noch am letzten Abend in Santiago. Das Teatro Muncipal zeigt heute La Traviata, vermutlich die Lieblingsoper der Besatzung des Segelbootes Esmeralda. Diesmal sind wir rechtzeitig da und halten auch stolz zwei im Vorverkauf erworbene Karten in der Hand. Eine wunderschöne Aufführung und welch wunderbare Musik!

Nach unseren guten Erfahrungen mit den Überlandbussen beschließen wir, die Heimreise auch auf diese Weise anzutreten. Da uns 12 Stunden Busfahrt von Santiago nach Valdivia doch zu anstrengend erscheinen, planen wir einen Zwischenstopp in Los Angeles (so gesprochen, wie es hier steht; nicht Los Änscheles) auf halber Strecke. Hier gibt es die Saltos del Lajas, einen großen und zwei kleinere Wasserfälle, welche eine kleinere Variante der Iguazu-Fälle (Der vergessliche Leser ist jetzt aufgefordert, nach „Brasilien, Rio Grande“ zurückzublättern!) sein sollen.

Tatsächlich, als wir am nächsten Tage dort eintrudeln, stürzt sich eine Menge Wasser mit großem Getöse unaufhörlich den Felsen hinab. Wir arbeiten uns anstandshalber zuerst den Touristenweg entlang und versuchen, den Bedrohungen der den Weg säumenden Nippeshändler zu entgehen. Sogar Jack Sparrow ist mittlerweile gezwungen, sein Geld hier als Fotoobjekt zu verdienen. Armer Kerl!

Schnell entdecken wir, dass es noch einen Zugang zum Wasserfall auf der anderen Seite des Flusses geben muss. Hier steht lediglich ein Hotel, welches einen herrlichen Rundweg für seine Gäste entlang des großen und eines kleinen Wasserfalles angelegt hat. Anstatt nervender Händler gibt es hier Alpakas, Dammwild, Ziegen, Schafe und Gänse in Gehegen entlang des Weges. Hier sind wir fast allein und finden sonnige Plätze, wo wir unsere Bücher herausholen und den Tag genießen. Den krönenden Abschluss des Tages bildet ein hier vor Ort gebrautes Bier, welches wir direkt vor dem Wasserfall genießen.

Am Nachmittag des kommenden Tages sind wir wieder in Valdivia und tatsächlich lässt sich auch hier gerade einmal der Frühling blicken. Sonne, Wärme und viele Menschen an der Uferpromenade, die sich genau daran heute am Sonntag erfreuen.

In den weiteren Tagen passiert nicht viel Berichtenswertes. Mit Raul besuchen wir Charlotte, die holländische Honorarkonsulin von Valdivia. Sie hat ein wunderschönes Haus direkt am Pazifik mit eigenem Strandzugang. Wir erleben einen anregenden Abend mit dieser interessanten Frau.

Wir holen uns – wieder völlig problemlos – die vierte Coronaimpfung ab, finden eine deutsche Bäckerei („Die Bäckerei“) und können nach dem Kauf eines herrlichen Schwarzbrotes auch noch mit dem Bäcker sprechen. Auf Deutsch!

Aber die Hauptaufgabe der letzten Tage bestand darin, unsere Gasflasche wieder mit Propan füllen zu lassen. In fast jedem Land ein Abenteuer, so schien es hier unmöglich zu sein. Raul und auch wir fragten an den vielen Gasfüll- und -tauschstationen. Kopfschütteln! Doch dann findet Raul doch noch eine Adresse, wo dies möglich sein soll. Zu unserem Erstaunen handelte es sich um einen ganz normalen Hinterhof mit Hunden und einem netten, aber fast blinden älteren Herren. Wir bringen die Flasche in einen Schuppen und hier findet sich ein passender Schlauch, der an einen unserer Adapter passt. Dieser wird dann mit einer großen Propanflasche (die auf dem Kopf steht) verbunden und nun zischt das flüssige Gas in unsere Flasche. Da es immer mal irgendwo tröpfelt und pfeift, müssen die Muttern angezogen werden (unsere Aufgabe, da der Meister selbst tatsächlich fast nichts mehr sieht), zwischendurch wird die gasförmige Fraktion abgelassen (Ohgottohgottohgott), gelegentlich mit der Federwaage gewogen und als wir sahen, dass das Normgewicht (voll) erreicht ist, der Vorgang beendet. Alle haben überlebt, Raul als ehemaliger Feuerwehrmann musste den Ort des Geschehens verlassen, aber die Flasche ist wieder voll!

So, und nun schauen wir fleißig Wetterberichte. Wenn sich nichts mehr ändert, wollen wir am 08.09. los. Spätestens am 10.09.!

25.07. – 13.08.22   Valdivia

Die Schreibmaschine klappert in erstaunlicher Harmonie zum Dauerregen, der auf das Boot niederprasselt. Nach ein paar trockenen aber kalten Tagen, ist Valdivia wieder in den Wintermodus zurückgekehrt. Auch wir sind also wieder zurückgekehrt und hatten beschlossen, noch etwas frühlingshaftere Umgebungstemperaturen abzuwarten, bis wir uns westwärts weiter auf die Reise machen wollen. Es gibt auch erst einmal genug zu tun an Bord! Die drei riesigen aus Deutschland mitgebrachten Taschen sind voller Ersatzteile, welche verstaut oder gleich eingebaut werden wollen. Mehrere Tage herrscht großes Chaos auf dem Segelschiff Esmeralda.

Da wir vom Land bisher nicht so viel gesehen hatten, mieten wir uns ein Auto und besuchen zuerst den Nationalpark Conguillio. Der hier ansässige Vulkan ist derzeit schneebedeckt und eine kleine Rauchfahne zeigt an, dass er zu allem bereit ist. Im Jahre 2008 gab es einen Ausbruch und die Folgen sind an ausgedehnten Lavafeldern zu sehen. Wir wandern den ganzen Tag, leider jedoch nicht auf der geplanten Route, da diese von den sehr pflichtbewussten Rangern wegen des Schnees gesperrt wurde.

Weiter geht es zu den Termas Geometricas. Entlang eines rauschenden Bergbaches sprudelt heißes Wasser aus dem Felsen, welches gemischt mit dem eiskalten Flusswasser angenehm temperiert in vielen Becken zu genießen ist. Wir sind hier mehrere Stunden und es wird einfach nicht langweilig. Der Blick auf die schneebedeckten Wälder ist phantastisch und wir freuen uns, dass man in Chile so zurückhaltend solche Attraktionen „ausgebaut“ hat. Kein Hotel, kein Kurbetrieb, lediglich ein schmaler Holzsteg führt am Flussverlauf entlang und ermöglicht Zugang zu den Thermalbecken. Umziehen kann man sich in kleinen Holzhütten, welche auch ohne viel Aufwand eingefügt wurden.

Wir besuchen das etwas enttäuschende Museo de los Volcanes und das dafür sehr ergreifende „Heimatmuseum“ in Neltume. Hier hatte es bis zum Jahre 1982 eine Guerilla-Gruppe in den nahen Bergen gegeben, welche den Versuch des politischen Umsturzes des Pinochet-Regimes gewagt hatte. Die Männer wurden entdeckt und von einem Mordkommando der Diktatur teilweise grausam und natürlich ohne Gerichtsverfahren ermordet. Dies berichtet uns sehr ergriffen die Dame, welche die Führung durch die Gedenkstätte übernommen hat. Wir sind sehr froh, auch mal diese Seite der Geschichte des Landes gewürdigt zu wissen, haben wir doch bisher immer das Gefühl gehabt, dass man ansonsten besser über diese Zeitspanne zu schweigen hat.

Museo de los Volcanes

Nun wollen wir noch nach Frutillar, eine im 19. Jahrhundert durch deutsche Einwanderer geprägte Stadt. Wunderschön am Lago Llanquihue gelegen, bietet die Stadt sehenswerte Holzhäuser, die besten Restaurants und sogar ein Theater. Wir mieten uns Fahrräder und fahren eine große Strecke entlang des Sees, immer den großartigen Volcano Osorno vor Augen, welchen wir ja schon einmal von Puerto Montt aus besucht hatten.

Hier treffen wir auch Emilio, Sohn deutscher Einwanderer, welcher auch noch gut deutsch spricht. Cristian (sein Sohn), vor dessen Haus wir in den Kanälen mal geankert hatten, gab uns damals den Kontakt und wir freuen uns sehr, dass er bei dem Treffen auch mit dabei ist. Ach, was für freundliche Menschen! Als wir nach ein paar wunderbaren Stunden nun die Heimfahrt nach Valdivia zur wartenden Esmeralda antreten müssen, bleiben zwei liebe Freunde zurück. Vermutlich wird man sich nicht wiedersehen und trotz vier Jahren des Trainings fällt es uns immer schwer, dies hinzunehmen.

Am Abend sind wir wieder auf der guten alten Esmeralda. Eine Woche waren wir unterwegs und haben viele Eindrücke von diesem Land gewonnen.

Aber es lockt auch die Stadt Valdivia uns immer wieder in ihre schönen und interessanten Winkel: Studentenkneipen, kleine Cafès, Lädchen aller Art. Wir fühlen uns hier sehr wohl!

Jeden Tag kommen wir auf dem Wege ins Zentrum an einer langen Front identischer Reihenhäuser vorbei, welche teilweise noch in der Bauphase sind. Wir erfahren, dass diese Häuser im ganzen Land für die ärmere Bevölkerungsschicht gebaut werden. Für einen symbolischen Betrag kann man das Haus samt Grund erwerben und es geht somit in Privatbesitz über. Eine sehr soziale Maßnahme, finden wir, so wie wir ja auch zum Beispiel von dem guten und kostenlosen Gesundheitssystem in vielen südamerikanischen Ländern überrascht waren.

Eine besondere Perspektive bietet eine Kajak-Tour auf dem Rio Valdivia. Auf Augenhöhe befinden wir uns mit dieser wunderbaren Natur und den vielen Seevögeln.

Letztere übrigens, insbesondere die Bandurrias, eine Ibisart, zeichnet sich durch ein unaufhörliches Mitteilungsbedürfnis aus. Oftmals werden wir schon am Morgen vom kreischenden Gezeter der Herrschaften geweckt und manchmal nimmt das Gezanke bis zum Abend kein Ende. Aber eventuell sagt man in der Tierwelt über die Besatzung des Segelschiffes Esmeralda ähnliches? Jedenfalls ist uns das Eulenpaar, welches wir jeden Morgen beim Frühsport antreffen, sympathischer. Schweigend sitzen sie immer am gleichen Platz und bewachen ihre Brut in einer Erdhöhle. Müssen die eigentlich nie etwas tun? Nein, vermutlich nicht, denn die Hauptarbeitszeit ist wohl in der Nacht.

Auch mit Raùl, unserem lieben Marinachef, sind wir viel zusammen. Wir laden uns gegenseitig zum Essen ein und unternehmen einen Ausflug zu dem großen spanischen Fort in Niebla an der Flussmündung des Rio Valdivia. Wir sehen nun endlich auch den Pazifik wieder direkt vor uns. Es riecht nach Meer, die Luft ist anders, die Geräusche. Wir freuen uns, dass es bald weiter gehen wird.

Doch bevor wir die Zivilisation wieder hinter uns lassen, wollen wir noch nach Santiago de Chile, Valparaiso und Viñar del Mar. Heute geht es los, wir berichten später!

Die wackere Besatzung des Segelschiffes Esmeralda macht jetzt erst einmal Urlaub. Im Juli geht es weiter und wir bitten um etwas Geduld!

04.04. – 04.05.22  Chiloe, Puerto Montt, Valdivia

Weiter geht´s! Wir verlassen Castro und finden wieder ruhigere Buchten rund um die Insel Chiloe. Ganz einsam wird es nicht mehr, vor allem die Dichte der Austern- und Lachsfarmen nimmt bedenklich zu. Wir ziehen im Slalom um selbige und erfreuen uns an Seelöwen, die – wie auch immer- auf die Begrenzungsbojen gerobbt sind und dort Siesta halten.

Im Norden der Insel Chiloe treffen wir dann unseren lieben Freund Sebastien wieder, der hier ein großes wunderschönes Anwesen hat. Wir verbringen ein paar Tage gemeinsam und genießen die Annehmlichkeiten eines Luxushotels.

Außerdem lernen wir seinen Freundeskreis kennen. Carlos hatte zu einem Grillabend eingeladen und hier treffen wir zum Beispiel auf Rudolfo, welcher dank dem Besuch einer der privaten deutschen Schulen perfekt deutsch spricht. Shari und Vaughan kommen ursprünglich aus Neuseeland, hatten aber viele Jahre eine Farm auf Chiloe. Jetzt haben sie alles verkauft und ein Segelboot per Internet in Französisch-Polynesien erworben. Ohne Segelerfahrung und ohne das Boot je in natura gesehen zu haben, werden sie jetzt ihr Leben komplett ändern. Respekt!

Irgendwann bringen wir das Gesprächsthema auf die gegenwärtige Politik des Landes wie auch die chilenische Vergangenheit. Man hatte uns immer gewarnt, über solche Dinge hier zu sprechen, da man in Chile schnell in Fettnäpfchen tritt. Aber hier, bei diesen so sympathischen Menschen?

Wir sind erstaunt, wie negativ zum Beispiel die gegenwärtige linksgerichtete Politik des neuen, fast jugendlichen Präsidenten Boric gesehen wird. Aus unserer Sicht erachteten wir es als normal, dass man sich über das Ende der eher rechten (und nach unseren Informationen), korrupten alten Regierung freut. Dem ist nicht so! Angst vor neuen Steuern, Angst vor einem Linksruck wie unter Präsident Salvador Allende und Angst vor Chaos besteht einheitlich bei allen Chilenen dieses Abends. Das Thema Pinochet lassen wir dann doch lieber gleich weg. Nie haben wir in den (zugegebenermaßen wenigen) besuchten Städten Plätze der Erinnerung und Mahnung an diese furchtbare Zeit der Militärdiktatur gefunden. Vermutlich werden erst spätere Generationen einen Standpunkt hierzu klar einnehmen können.

Trotzdem war es ein wunderbarer Abend. Wir freuen uns wieder einmal über das ehrliche Interesse an fremden Menschen (wie z.B. wir) und staunen über die Gastfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Chilenen.  

Dann aber ist nun endlich Puerto Montt das nächste Ziel. Noch einmal ankern wir in einer nun nicht mehr sehr stillen Bucht, dann legen wir in der Marina Club Nautico Reloncavi an. Wir haben uns hier mit Dave, dem aus England stammenden, nun aber in Chile lebenden Mechaniker verabredet. Mittlerweile sind die Gewinde für unsere Seewasserpumpe durch die permanenten Wechsel verschlissen und er schneidet uns neue in den Motorblock. Bei einem Ortskontrollgang um das Boot, welcher auch die Besteigung des Mastes beinhaltet, finden sich an beiden Unterwanten (also die Drahtseile, die den Mast halten) je zwei gebrochene Kardeele, vermutlich das Resultat der komplizierten Wetterbedingungen der letzten Monate. Auch wenn noch 17 Kardeele verbleiben, muss hier was passieren. Da es hier keinen Rigger gibt, der Wanten komplett neu fertigen könnte, sollen jetzt Norseman-Schraubterminals eingesetzt werden. Eines haben wir an Bord, ein zweites finden wir mit Fernhilfe des guten Sebastiens in Valparaiso. Trotz der vielen Segler hier in Puerto Montt sind die Möglichkeiten für den Kauf von Ersatzteilen bzw. Reparaturen sehr begrenzt.

Aber, Chilexpress macht es möglich, schon 24 Stunden später haben wir das Teil hier! So nebenher lernen wir, wie man eine Rechnung am Bankautomaten bezahlen kann. Großartig!

Nun kann es losgehen: Gewöhnungsbedürftig ist, dass nun teilweise die Stabilität des Mastes von diesen verschraubten „Halterungen“ übernommen wird, aber im Internet finden sich viele positive Beurteilungen zu dieser Technik und dem vertrauen wir. Um mehr Beweglichkeit an den Anschlagpunkten im Mast zu ermöglichen, werden noch Toggles, die Bewegungen in zwei Ebenen zulassen, eingebaut und dann kehrt wieder Ruhe ein auf dem Segelboot Esmeralda. Ein paar schlafarme Nächte wälzten wir Lösungsmöglichkeiten für dieses Problem. Und Dave sind wir sehr dankbar für Beratung und Mithilfe, auch wenn wir viele Stunden immer wieder auf sein Erscheinen (oder auch Nichterscheinen) warten mussten. Außerdem leisten wir uns mal eine neue Ankerkette, da die alte nun doch schon recht rostig ist und an einigen Stellen nicht mehr die Normstärke von 10mm aufweist.

Hat die Besatzung des Segelschiffes Esmeralda nun nur rumrepariert in Puerto Montt? Nein! Es gibt so einiges zu entdecken. Erst einmal bietet die Stadt wieder reichlich Leben, Restaurants und Unterhaltung. Dank der vielen deutschen Siedler hier gibt es einmal pro Woche einen deutschsprachigen Film im Kino, was wir natürlich nutzen. Auch deutsche Küche findet man im Club Aleman, ist aber wegen der ungemütlichen Atmosphäre (die 70er Jahre grüßen aus allen Ecken) nicht unser Favorit. Wir besuchen den Nationalpark Vicente Perez Rosales mit seinen gewaltigen Wasserkaskaden und dem noch aktiven, schneebedeckten Vulkan Osorno. Da letzterer nicht mit dem Bus erreichbar ist, trampen wir, was gut funktioniert.

Weitere Erkundungen werden dann aber von den entsetzlichen Wetterbedingungen verhindert. Puerto Montt dürfte auch einer der Anwärter für die Welthauptstadt des Regens sein. Mehr als eine Woche hört der Regen kaum auf, dazu stürmt es meistens. Widerwärtig!

So haben wir noch Zeit, uns um die drei Marina-Hunde zu kümmern. Während Jack immer Hunger hat und Blancas Hauptanliegen im Verbellen der im Hafen fischenden Seelöwen liegt, ist der Alte Sack (seinen realen Namen haben wir nie erfahren) zumeist missgestimmt, nimmt aber auch huldvoll Salchichas entgegen.

Irgendwann hört dann aber auch der Dauerregen auf und es öffnet sich ein Wetterfenster mit moderaten südlichen Winden: Valdivia ruft! Kurz vor Abfahrt lädt uns Alejandro zu sich nach Hause zum Essen ein. Eigentlich kennt er uns gar nicht, aber gerade dieses vorurteilsfreie Interesse am Fremden bewundern wir an den südamerikanischen Menschen. Mit Ronaldo und Ehefrau tauchen dann auch noch (wieder einmal) perfekt deutschsprechende Chilenen auf. Es wird ein lustiger Abend: Wir zeigen unsere Bilder und erzählen unsere Geschichte und erfahren viel von unseren Freunden. Das Abendbrot ist vermutlich ohne Absicht typisch deutsch: Brot, Aufschnitt, Gürkchen und danach gibt es Kuchen, der hier tatsächlich so heißt.

Am nächsten Abend kommen Alejandro und Ronaldo zum Gegenbesuch an Bord. Wieder ein unbeschwerter Abend, der erst spät endet.

Am 29. April geht es dann los. Am Vortage hatten wir brav unsere Zarpe (die Berechtigung, in einer bestimmten Zeit von A nach B zu segeln) bei unseren Freunden von der Armada abgeholt. Und weil wir uns alle so gern mögen, entschließt man sich spontan zu einem Gegenbesuch: Bevor wir ablegen, will man an Bord so dies und das kontrollieren. Na prima! Andere Sorgen haben wir ja nun wirklich nicht. Wir haben unsere Abfahrtszeit bei der Armada mit 8 Uhr festgelegt (Ja, auch das muss man!). Da bis 8 Uhr kein Beamter sich sehen lässt, vergessen wir mal alles, was wir von südamerikanischer Pünktlichkeit wissen und legen ab! Schließlich müssen wir zur rechten Zeit (mit ablaufendem Wasser) im Canal Chacao sein. Nur wenige Minuten nach dem Ablegen – man sah uns offenbar durch das AIS-Signal- trötet es aus dem Funkgerät! Man meint eindeutig uns und wir müssen wieder zurück. Die Kontrolle geht schnell: Zielsicher finden die Herrschaften das einzige Material, was tatsächlich abgelaufen ist: unsere Notraketen und -fackeln. Aber aus alter Freundschaft sieht man darüber hinweg und wir dürfen starten.

Unser Wetterfenster beinhaltete nicht nur günstige Winde, sondern seit langem auch mal wieder viel Sonnenschein, welcher, soviel sei schon jetzt verraten, bis Valdivia anhält. Wir verleben eine wunderbare Zeit auf See. Durch den Canal Chacao werden wir mit Höchstgeschwindigkeit gestrudelt und dann sind wir auch schon auf dem Pazifik. Der zeigt sich heute milde gestimmt und so werden die 170 Meilen bis zur Mündung des Rio Valdivia sehr entspannt und zum Schluss dank auffrischender Winde sehr rasant bewältigt.

Die zweite Nacht dieser Reise verbringen wir dann in der Bahia Corral. Die Fahrt flussaufwärts wollen wir dann lieber bei Tageslicht angehen.

Noch am Morgen waren wir der Meinung, dass die 11 Meilen bis zu unserem Liegeplatz in einem Seitenarm des Rio Valdivia ja nun kein Problem mehr sein dürften. Doch es kommt alles ganz anders! Kurz nach dem Lichten des Ankers wird das Segelboot Esmeralda samt seiner tapferen Besatzung vom Nebel des Grauens gepackt. Kälte umfängt das Schiff und keiner kann ahnen, welche unsichtbaren Gefahren sich nur wenige Meter entfernt in dieser Umklammerung  befinden. Trotz angestrengter Ausschau sehen wir nichts! Angst und Resignation befallen die Crew wie eine ansteckende Krankheit.

„Gut! Reicht jetzt! Es gab einfach nur für ungefähr 45 Minuten relativ dichten Nebel. SONST NICHTS!“

Oh, der Beauftragte für „intellektuelles Leben und anspruchsvolle Kultur“ des Segelschiffes Esmeralda!

Ja, also, der Weg führt durch eine wunderschöne Flusslandschaft. Die Karte gibt schon längst keine Informationen mehr und auch Seezeichen sind eher rudimentär vorhanden. Aber die Wassertiefe reicht immer aus und irgendwann haben wir die Marina „Roaring Forties“ erreicht. Vielleicht ist der Name etwas überambitioniert für diesen Steg im Fluss, welcher uns sehr intensiv von unserem lieben Freund Rene in Ushuaia empfohlen wurde. Aber wir spüren sofort, dass wir hier richtig sind. Raul, der Besitzer der Anlage, steht schon am Steg als wir anlegen. Er zeigt uns seinen wunderschönen Garten, das Haus und all die Einrichtungen, die uns hier das Leben leicht machen werden. Ein Paradies!

Dann zieht es uns auch schon in die Stadt! Gut, auch unsere Freunde von der Armada verlangten uns noch heute zu sprechen! Raul fährt uns freundlicherweise ins Zentrum. Die Armada verrichtet ihren Anteil am Waldsterben, indem enthusiastisch Dokumente kopiert und Formulare ausgefüllt werden. Dann kann die geduldige Besatzung des Segelbootes Esmeralda sich in das Stadtleben stürzen.

Eine schöne Stadt! Der Rio Valdivia, welcher durch die Stadt fließt, ermöglicht eine schöne Promenade, welche von Musikern, Händlern, Spaziergängern und auch Seelöwen belebt wird. Letztere haben hier ihren Platz gefunden, tragen lautstark ihre Kämpfe aus und jagen auch mal gerne Ruhebedürftige von den Bänken, um sich dann selbst elegant dort hochzuziehen. Es wird nicht langweilig, den Herrschaften zuzusehen.

Wir sehen hier erstmals wieder seit Necochea (Argentinien) Palmen. Übrigens tauchen auch seit einiger Zeit zunehmend wieder Pelikane, eventuell unsere Lieblingsvögel, auf. Da bekommt die kälteerprobte Besatzung des Segelbootes doch so langsam subtropische Empfindungen. Und, der Name unserer Marina brachte uns auf den Gedanken, haben wir nun tatsächlich den 39. Breitengrad erreicht und damit die brüllenden Vierziger und erst recht die rasenden Fünfziger hinter uns gelassen. Sollte das Seglerleben jetzt wieder einfacher werden?

Ein Video über Feuerland und Patagonien:

21.03. – 03.04.22    Puyuhuapi, Puerto Queilen, Castro – zurück in der Zivilisation

In Puerto Aguirre lernen wir zwei junge Menschen kennen. Sie kommen aus Israel, trampen die Carretera austral entlang und haben jetzt mal einen Abstecher in Richtung Inselwelt der Kanäle gemacht. Gili und Aynan sind uns sofort sehr nahe: Ihre Art zu Reisen gefällt uns, ihr Interesse an den Menschen ist ähnlich dem Unsrigen und ihre Leidensfähigkeit sehen wir mit großem Respekt. Bei diesen Wetterverhältnissen im Zelt zu wohnen und mit diesen riesigen Rucksäcken ständig beladen zu sein, ist schon etwas sehr Besonderes. An einem regnerischen Tag verabreden wir uns zum gemeinsamen Kochen an Bord. Shakshuka meets Bratkartoffeln mit Sauerkraut und erstaunlicherweise passt das großartig zusammen.

Und auch wir merken, dass wir ganz gut zusammenpassen. Da sie auch nordwärts wollen, verabreden wir uns, gemeinsam für einen Tag mit dem Boot unterwegs zu sein. Beim Verlassen von Puerto Aguirre müssen die beiden sich in der Kabine verborgen halten. Die von der Armada ausgestellte „Berechtigung“ hier unterwegs zu sein, gilt nur für 2 Personen und wir sind gar nicht auf die Idee gekommen, dass dies unrechtmäßig wäre. Erst unser freundlicher Hafenmeister klärte uns über die sinnlosen Regeln des Segelns in Chile auf. So ein Blödsinn!

Jedenfalls bringen uns die Beiden Glück. Schon kurz nach dem Ablegen tauchen mehrfach um uns herum Wale auf. Große Begeisterung auf dem Segelschiff Esmeralda! Wir erfahren viel über das Leben in Israel und im Gegenzug berichten wir von der deutschen-deutschen Veränderungen der letzten Jahrzehnte, welche anscheinend in Israel weniger wahrgenommen wurden. Da alles so harmonisch funktioniert, beschließen wir noch einen weiteren Tag zusammenzubleiben.

In Puyuhuapi, wo die Carretera austral durch den Ort führt, verlassen uns die Beiden. Wir genießen die freundliche Atmosphäre dieses hübschen Ortes und ziehen am nächsten Tage weiter nordwärts.

Mit den letzten Sonnenstrahlen erreichen wir unsere Bucht für diese Nacht. Nun wird sich das Wetter ändern und wir müssen sehen, wie es weitergeht.

Die Bucht wird übrigens erheblich eingeengt durch eine der vielen Lachsfarmen, die es nun im nördlichen Teil der Kanäle immer häufiger gibt. Chile ist nach Norwegen der größte Exporteur für Lachs. Selbstverständlich, die Welt will ernährt werden. Aber in dieser Dichte dürfte die Wasserqualität dieses wichtigen Lebensraumes doch sehr beeinträchtigt werden. Und ohne Antibiotikazusatz dürfte diese Massentierhaltung kaum zu bewerkstelligen sein. Vor den Toren unseres Schlafplatzes erwartet uns am nächsten Morgen dann heftiger Wind, natürlich aus Nord und natürlich mit ausreichend Regen und einer beachtlichen Welle vereint. Wir sind froh, als wir in einer Bucht nach nur 15 Meilen rechts abbiegen können und Unterschlupf finden.

Am nächsten Tag ist es wieder ähnlich. Leider ist die Stärke des Windes in den meist völlig geschützten Buchten schwer abzuschätzen. So sind wir auch heute wieder überrascht, vor welch scheußlichem Wetter wir die Nacht über geschützt waren. Aber, die großen Worte eines deutschen Machthabers im Ohr – „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“ – quälen wir uns wieder 15 Meilen weiter und landen in der Rada de Pelena. Der empfohlene Ankerplatz liegt vor dem Ort Raul Marin Balmaceda. Hier kachelt aber immer noch der Nordwind ungebremst in den Kanal, so dass wir auf die Suche nach einem besseren Plätzchen gehen. Noch einmal links um die Ecke und wir finden uns in einer großen, aber von fast allen Seiten durch hohe Berge geschützten Bucht wieder. Unsere Seekarte hat zwar hier keinerlei Angaben mehr für uns parat, aber bei nunmehr wieder 70 Metern Wassertiefe können wir da sehr entspannt sein. Später taucht ein Dinghy hinter uns auf und die jungen Männer empfehlen uns einen Platz direkt vor ihrem kleinen Waldhaus. So machen wir es, werfen den Anker und legen die üblichen 2 Landleinen. Und schon wird es still rundherum. So still, dass wir uns zum späten Nachmittag zu einem Besuch des oben erwähnten Dorfes mit dem Dinghy entschließen. Der Leser wird es nun langsam erahnen: Nach einer kurzen Strecke merken wir, dass der Wind keineswegs abgeflaut hat und wir kämpfen uns auf die andere Seite des Kanals und versuchen in den Ort zu laufen. Gegen die massive Welle hätten wir mit unserem 4-PS-Außenborder keine Chance!

Der Ort ist aber weit und vorher landen wir auf einem Privatgrundstück. Die Besitzer erklären uns zwar einleitend, dass wir hier nichts zu suchen haben, jedoch ändert sich sehr schnell die Stimmung und man lädt uns zum Essen ins Haus ein. Im Dorf wäre heute zum Sonntag eh´ alles geschlossen. Nun wird für uns gekocht und wir beantworten die üblichen Woher-Wohin-Fragen. Wir erfahren, dass die beiden Besitzer aus Argentinien kommen und seit 5 Jahren nun in Chile leben. Da es bald dunkel wird, müssen wir uns allerdings bald wieder auf den ungeliebten Rückweg machen. Wind und Regen, das Dinghy ins Wasser tragen… Wir verabschieden uns herzlich von unseren Gastgebern und traben los.

Am nächsten Tag regnet und stürmt es immer noch und wir beschließen, nun doch noch ein wenig schlau geworden durch Erfahrung, keinen Fuß mehr vor die Tür zu setzen. Erst zum Abend besuchen wir unseren Hausbesitzer Christian, welcher direkt oberhalb unseres Ankerplatzes an seinem Holzhaus bastelt. Christian stammt von einem deutschen Vater ab (welchen wir unbedingt in Puerto Montt besuchen sollen), beherrscht aber, trotz Besuch der deutschen Schule, nicht mehr die deutsche Sprache. Trotzdem führen wir interessante Gespräche über die chilenische Vergangenheit, welche kurze Zeit später an Bord von Esmeralda fortgesetzt werden.

Oh Wunder, am kommenden Tage scheint die Sonne, das Wasser ist (erst einmal) spiegelglatt und nun müssen wir weiter. Ziel ist nun endlich die Bahia Tictoc, welche ja schon seit 3 Tagen das Objekt unserer Begierde ist. Mit Erreichen des hier sehr offenen Meeres wird zwar das Boot samt der Besatzung noch einmal unsanft durch die Restwelle durchgeschüttelt, aber schon bald sind wir in der Inselwelt dieser Bucht und genießen den Frieden und die Tierwelt.

Hier soll es eine Pinguinkolonie geben, außerdem seltene Wasservögel und natürlich Seelöwen und Delphine. Doch nunmehr taucht jedoch erst einmal ein Kondor am Himmel auf.

Endlich sehen wir diesen riesigen Vogel, welcher anscheinend an einem toten Pinguin, welcher hier an den Strand gespült wurde, interessiert ist. Dann beginnt die große Inselrundfahrt mit dem Dinghy. Wir sehen zwar einzelne Magellan-Pinguine, die Kolonie finden wir aber nicht. Vermutlich sind die Herrschaften schon mit Beendigung des Brutgeschäftes wieder in antarktische Gefilde aufgebrochen. Dafür gibt es dann wieder einen Felsen voller Seelöwen, unseren Lieblingstieren in Südamerika.

Kein anderes Meerestier scheint so interessiert zu sein an diesen zweibeinigen Wesen. Immer wieder auf unserer Reise im Süden des Kontinents kommt es zu diesen freundlichen Begegnungen: Der Seelöwe schraubt seinen Oberkörper aus dem Wasser um besser sehen zu können und schaut uns dann zumeist direkt in die Augen. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft…

Nach dieser eventuell letzten so einsamen Bucht tauchen wir dann am kommenden Tage wieder in die Zivilisation ein. Endlich sind wir in Chiloe´, der großen Insel, von der uns Sebastien so viel vorgeschwärmt hat. Im ersten Ort Queilen fühlen wir uns noch nicht so recht wohl. Die kleine Bucht ist zugestopft mit einer riesigen Austernfarm, der wenige Platz der bleibt, wird von Fischerbooten, Fähren und anderen Wasserfahrzeugen verstopft. Kaum dass wir ein freies Plätzchen zum Ankern hier finden können! Das Wasser ist ölig und schmutzig (wir sehen, wie die Kanalisation des Ortes sich im Strahl in die Bucht ergießt) und wir beschließen, auch weiterhin keine Austern zu verspeisen.

Dann quetschen wir uns durch schmale Kanäle an vielen Inseln vorbei und gelangen nach Castro, der Hauptstadt der Insel. Eine richtige Stadt! Kaffeestuben, hübsche Restaurants und viele Einkaufsstraßen zum Bummeln.  Doch der Höhepunkt ist die Holzkirche, typisch für die Insel, welche außen mit Holzschindeln bedeckt ist und deren Innenraum vollständig aus Holz besteht. Ein wunderschöner Anblick!

Es gibt sogar ein Museum für moderne Kunst und einen riesigen China-Hypermercado. Eine Stadt, in der die anspruchsvolle Besatzung des Segelschiffes Esmeralda all seine Bedürfnisse befriedigen kann.

01.03. – 20.03.22 Irgendwo in der großen Einsamkeit Südchiles

Nein, wir bleiben nicht in Puerto Eden. Eigentlich hat es hier seit unserer Ankunft fast dauerhaft geregnet und so richtig schön ist das nicht. Wir verabschieden uns von den uns nahestehenden Menschen und ziehen am 2.3. unseren Anker ein. Nahziel ist jetzt erst einmal die Angostura Inglesa, eine durch viele Inseln gebildete Engstelle im Canal Messier. Unter Beachtung der Tide (was wir taten) eigentlich kein Problem, jedoch schafft der heftige Wind aus Nord (natürlich ist heftiger Regen auch mit im Spiel) anscheinend einen deutlichen Strom gegen uns, so dass wir uns mühsam voran quälen. So geht es die nächsten Tage auch weiter. Wir schaffen nur kleine Strecken und müssen den Besuch des Gletschers Iceberg (ja, der heißt wirklich so) ausfallen lassen. Der Canal Messier schafft uns. Strom, Welle, Wind und natürlich der Regen sind mal wieder gegen uns! Da sich am Sonntag ein Wetterfenster für die Querung des Golfo de Penas öffnet, müssen wir vorankommen und können leider nicht das entsetzliche Wetter in einer der wunderbaren Buchten aussitzen.

Sonntag haben wir dann tatsächlich den passenden Wind für die nächste Problemzone unserer Reise. Der Golfo de Penas (Golf des Leidens) stellt eine Unterbrechung des geschützten Kanalsystems dar und der leidensfähige Segler muss nun für 150 Meilen auf den von den permanenten Tiefdruckgebieten aufgewühlten Pazifik hinaus. Durch anhaltende Dünung aus Südwest, Windwelle aus der gerade bestehenden Windrichtung und Reflexion der Pazifikdünung am Ufer entsteht eine chaotische See, welche durch die rasant sich ändernde Wassertiefe von mehr als 1000 Metern auf 100 Metern noch einmal problematischer wird.

Schon Montag-Nachmittag soll wieder der übliche Westwind in unangenehmer Stärke auf dem Pazifik sich austoben und so verlassen wir schon um 4 Uhr morgens am Sonntag die Bucht. Mit Taschenlampe quetschen wir uns durch die enge Ausfahrt und dann hat der wackere Perkins erst einmal wieder eine Überraschung für uns parat. Es tritt kein Kühlwasser mehr aus; der Motor wird heiß. Zum Glück können wir schon segeln und so kann der Bordmechaniker mit dem Kopf im Motorraum verschwinden und sich Gedanken machen. Meist war es ja die Seewasserpumpe, die Ärger machte. So wird diese erst einmal ausgetauscht, was nichts ändert. Diesmal war es dann also (um es kurz zu machen) ein Fremdkörper im Kühlwasser-Seeventil, welcher mit einem Draht wieder ins Meer zurückbefördert werden konnte. So unpassend ja solche Ereignisse immer sind, waren wir doch froh, dass dies nicht in einem engen Kanal passierte.

Endlich können wir wieder segeln. Wie erwartet ist die Schiffsbewegung unangenehm, ein wenig Übelkeit stellt sich bei der tapferen Besatzung des Segelschiffes Esmeralda ein.

Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz.

Nun muss es zerschellen. Nein, es blieb ganz.

Ja, lieber vielseitig gebildeter Leser, dies ist

  1. von Gorch Fock geklaut und
  2. war es gar nicht sooo schlimm!

Nach den ersten 30 Meilen wird es langsam koordinierter und vor allem freuen wir uns über eine rasante Segelgeschwindigkeit. Montag-Morgen verschwinden wir wieder planmäßig in den geschützteren Kanälen und können uns zum Nachmittag in eine behagliche Bucht verholen. Hier erwartet uns bereits unser Freund Sebastien, welcher zum gleichen Zeitpunkt den Golfo querte und welchen wir ja bereits auf der gesamten Reise durch die Kanäle immer mal wieder wunderbarerweise trafen.

Eine spontane Feier verleiht dem Ereignis die nötige Würde.

Dann trennen sich unsere Wege. Wir wollen weiter südlich zum Gletscher San Rafael, Sebastien will nördlich zu seinem Anwesen auf der Insel Chiloe´.

Die schmale Einfahrt zur Laguna San Rafael erfordert die Beachtung der Tide und so erreichen wir den Gletscher sehr früh am Morgen. Dies bedeutet, dass wir alles hier erst einmal für uns alleine haben. Der äquatornaheste Gletscher der Welt ist eine touristische Attraktion und deshalb tauchen später noch ein paar Ausflugsboote auf. Wir schlängeln uns durch die hier recht gewaltigen Eisberge und Eisbrocken und verharren schweigend eine Stunde vor dem Gletscher.

Wir hören das Donnern der Eisabbrüche und können uns an dem kräftigen Blau des Eises nicht sattsehen.

Jetzt wollen wir auch zu Fuß dem Gletscher näherkommen. Wir ankern in einer geschützten Bucht und rudern an Land. Der Weg ist anfangs recht anspruchsvoll: Über einige 100 Meter hat man den Pfad geflutet und seitliche Dornenhecken erlauben kein Ausweichen. So müssen wir die Schuhe ausziehen und durch das eiskalte Wasser waten.

Später kommen wir an einer mittlerweile zugewucherten Landebahn und den Resten eines Hotels aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts vorbei. Ein etwas morbider Charme umfängt uns. Jetzt gibt es hier nur noch einen Kleinst-Campingplatz für Wanderer.

Nach 2 Stunden stehen wir an einem Aussichtspunkt kurz vor dem Gletscher und genießen noch einmal den neuen Blickwinkel. Seltsam, dass die Gewaltigkeit dieses Naturschauspiels uns sofort ruhig werden lässt. Schweigend schauen wir zu, wie das Eis, das Tausende von Jahren auf diesen Moment gewartet zu haben scheint, nun in die Lagune stürzt und hier ein Eigenleben beginnt. Die Eisberge drehen sich, einzelne Kanten brechen wieder ab und im Zusammenhang mit dem bewegten Wasser machen sie auch Geräusche. Faszinierend!

Erst am späten Abend kehren wir zum Boot zurück und beschließen, in dieser Bucht über Nacht zu bleiben. Der Segelführer empfiehlt dies eigentlich nicht, da man schnell vom Eis auch eingeschlossen werden kann. Aber das Wetter ist unproblematisch und so hoffen wir das Beste. Außerdem vermuten wir, dass die Ausflugsboote, welche nicht an einem Tage den Weg vom Heimathafen zum Gletscher und zurück bewältigen können, im Rio Los Patos, dem empfohlenen Ankerplatz, übernachten werden. Und darauf haben wir nach diesem inspirierenden Tag keine Lust.

Am nächsten Morgen ist unser Liegeplatz zwar relativ eisfrei, aber wir sehen eine breite Straße voller Eis vom Gletscher zum Rio Tempano, dem Ausgang der Lagune, ziehen. Da auch wir da wieder raus müssen, sollten wir uns irgendwie vordrängeln. In der Nacht muss San Rafael sehr fleißig gewesen sein!

Wir machen noch einen Abschiedsbesuch am Gletscher und dann nichts wie weg. Hochwasser steht kurz bevor und wie Flugzeuge auf der Startbahn warten die Eisberge, dass sie der Ebbstrom durch den Rio Tempano aus der Lagune schwemmt. So kämpfen wir uns gegen den Strom durch den noch recht eisfreien Rio und sind bald wieder auf dem Weg nach Norden.   

Das nächste Ziel ist Puerto Chacabuco. Hier hoffen wir Frischobst und Gemüse kaufen zu können und freuen uns auch mal wieder auf Restaurants und Menschen. Einige Tage später, einige Buchten später, einige Canales, Bahias und Senos später erreichen wir den Ort. Nun ja, viel ist hier nicht los. Kleine Hütten, ein paar kleine Läden, ein Hotel, zwei Restaurants (eher Schnellimbiss)! Aber es gibt ein Gesundheitszentrum und wir fragen mal nach unserer Corona-Drittimpfung. Kein Problem, am nächsten Tag können wir kommen und erhalten ohne längere Wartezeit den guten Pfizer-Impfstoff.

Etwas lohnender ist der Besuch des 14km entfernten Puerto Aysen und des weitere 60 km entfernten Coyhaique, welches wir per Bus über die landschaftlich schöne Carretera Austral erreichen. Hier gibt es mehr Leben, viele Geschäfte, Restaurants und einen riesigen Einkaufsmarkt.

Man möge uns dieses kommerzielle Denken nachsehen, jedoch leben wir mehr oder minder seit Ende Januar von den in Ushuaia erworbenen Vorräten und freuen uns jetzt einfach mal über die Möglichkeiten, die eine solche Stadt bietet. Aber irgendwie ist da auch schon wieder die Sehnsucht nach den einsamen von Bergen und Wäldern umgebenen Buchten, wo man so ruhig liegt, dass man von dem Starkwind nichts mitbekommt. Wo bestenfalls mal ein neugieriger Seelöwe nach dem Rechten schaut oder die Delphine schnaufend nach Nahrung suchen.

Wir verlassen die recht flache Bahia Baja mit dem Nachmittagshochwasser und kommen noch ein ganzes Stück westlich. Zum Abend landen wir wieder in einer der netten geschützten Buchten. Am nächsten Tag erwarten uns dann im westlichen Abschnitt des Fjordo Aysen satte 30-35 Knoten Wind. Da aber selbiger auch einmal aus südöstlichen Richtungen kommt, können wir mit einem kaum ausgerollten Vorsegel mit spektakulärer Geschwindigkeit losreiten. Mit Verlassen des Fjordes ändert sich die Windstärke wieder auf Normalmaß; die hohen Berge des Kanals bündelten den Wind und man ist immer wieder erstaunt, welche gravierenden Abweichungen vom Wetterbericht durch die Architektur der Kanäle entstehen können. Am Nachmittag legen wir dann in Puerto Aguirre an. Die Sonne scheint mal, es ist sommerlich warm. Was für ein Empfang! Wir besuchen den gepflegten botanischen Garten und kehren dann zum Abend in das einzige „Restaurant“ des Ortes ein.

Zuvor hatten wir schon unser Essen bestellt. Jetzt ist es fertig und wir werden in die Küche gebeten und speisen grandios mit intensivem Familienanschluss.

Und das empfinden wir als so schön, dass wir uns gleich für den kommenden Abend wieder zum Abendessen anmelden. Jetzt dürfen wir uns sogar aussuchen, was gekocht wird. Wir wünschen uns eine chilenische Bohnensuppe und sind sehr gespannt auf den Abend!

06.02. – 27.02.22 Chilenische Kanäle

Mit dem ersten Tageslicht verlassen wir Puerto Williams, ziehen gegen Mittag wieder an Ushuaia vorbei und landen in der ersten Bucht unserer Reise nach Puerto Montt. Osvaldo, der mit seinen 4 deutsch-schweizerischen Chartergästen eigentlich Gletscher und Kap Hoorn besuchen will, ist auch schon da. Wir absolvieren unser Leinenmanöver (Anker raus, dann 2 Leinen heckwärts und 2 Leinen bugwärts möglichst rasant an kräftige Bäume verzurrt, bevor das Boot irgendwohin getrieben wird), welches nun in den nächsten Wochen in immer ähnlicher Weise zur Routine werden wird.

Da der Montag noch ein relativ windarmer Tag werden soll, sagen wir Osvaldo Lebwohl und ziehen am folgenden Tag in die nächste Bucht. Hier sollen wir nun erst mal die kommenden Tage verbringen. Ein holländisches Boot liegt bereits hier, unser französischer Freund Sebastien kommt noch spät am Abend.

In der Nacht wirft es uns förmlich aus den Betten, urplötzlich kachelt der Wind mit 60 Knoten (Petra und Kor, die Holländer, haben es gemessen) und nun ist es erst einmal vorbei mit der Ruhe. Die nächsten Tage löst ein Sturm den nächsten ab und wir bleiben fast eine Woche in unserer Bucht. Die Zeit vertreiben wir uns mit Besuchen auf den Nachbarbooten und dem Sammeln von Beeren für Kuchen und Rote Grütze. Am Strand gibt es ausreichend Calafate (ähnlich Blaubeeren, wächst aber an einem dornigen Busch) und -auch an einem Dornenstrauch wachsend- kleine rote Beeren, die wie Miniaturäpfel aussehen und auch so schmecken (der Name geriet in Vergessenheit).

Trotzdem macht uns der Verbrauch unserer Lebensmittel an Bord etwas Sorgen. Noch befinden wir uns beinahe in Rufweite von Puerto Williams und es ist vorerst kein Ende des stürmischen Wetters in Sicht. Vermutlich müssen wir verhungern, ist doch die nächste Einkaufsmöglichkeit erst in Puerto Eden (ca 600 Meilen entfernt). Oder verdursten? Ohgottohgottohgott! Nein, verdursten werden wir nicht!  In dieser wie auch in fast jeder weiteren Bucht gibt es einen Wasserfall oder einen Bach oder beides mit bestem Gletscherwasser.

Aber dann hat die wetterbestimmende Behörde ein Einsehen und tatsächlich soll ab Freitag (also 12 Tage nach Verlassen von PW) ein Hoch längere Zeit über Patagonien wohnen. Ein Wunder! Nachdem die starkwindgebeutelte Wetterkarte von Patagonien immer knallrot war, wird sie nun plötzlich mehrere Tage hellblau. Leichte Winde aus allen Richtungen. Dies ist unsere Chance. Bald können wir die Bucht verlassen, warten noch einmal in der nächsten Caleta auf das Entschwinden des letzten Tiefs und dann geht es los. Jetzt müssen wir die Tage gut nutzen. Mit dem ersten Tageslicht starten wir und meist erst zum Sonnenuntergang erreichen wir die Schlafbucht.

Wir passieren den Canal Acwalisnan (einen der 3 möglichen Zugangswege zur Magellanstrasse). Eigentlich ist dieser Weg von der Armada de Chile nicht erlaubt, jedoch ist er viel kürzer und geschützter als der vorgeschriebene Canal Magdalena. So schalten wir unser AIS für diese Zeit aus und sind somit hoffentlich unsichtbar. Am Abend erreichen wir dann die wegen hässlicher Segelbedingungen gefürchtete Estrecho de Magallanes. Ein Teilstück von 110 Meilen müssen wir passieren, bis wir wieder in die besser geschützten Kanäle verschwinden können. Dank des glückspendenden Hochs sind die Bedingungen jetzt jedoch ideal. Sogar Ostwind hat man für uns zurechtgebastelt. Das MÜSSEN wir nutzen und somit wird eine Nachtfahrt eingeplant. Diese Entscheidung wird dann tatsächlich auch von höherer Ebene abgesegnet, indem direkt neben uns ein Wal auftaucht und zustimmend mit der Schwanzflosse wedelt. Wunderbar. Nur im Paso Tortuoso, einer längeren Engstelle zwischen der Isla Carlos III und dem Festland, werden wir 3-4 Knoten Gezeitenstrom gegen uns haben, was jetzt aber nicht vermeidbar ist. An dieser Stelle, natürlich bei Dunkelheit, passiert uns dann auch noch ein großes Cargoschiff (doch, der Platz reicht für beide), welches aber höflich die Seite der Passage mit uns per Funk abspricht und sich dann später noch höflicher für die Zusammenarbeit bedankt. So was! Auch die restliche Großschifffahrt, welche uns begegnet, verfährt ähnlich und wir beschließen spontan, nun immer das Funkgerät eingeschaltet zu lassen.  Übrigens findet die Namensgebung des Bootes des Öfteren und auch auf diesem Wege in Chile zustimmende Erwähnung, gibt es doch mehrere berühmte Schiffe mit dem Namen „Esmeralda“ (eines wurde leider in einer dramatischen Schlacht versenkt) und auch eine Insel gleichen Namens existiert.

Am Abend können wir dann rechts abbiegen und die Magellanstraße somit verlassen. Puh, was sind wir froh. So manches Boot musste mehrere Wochen warten, bis die Wetterbedingungen für dieses Gebiet erträglich waren. Und um das Glück noch vollständiger zu machen, finden wir mit dem Puerto Profundo (Caleta Teokita) den bisher schönsten Ankerplatz unserer Kanalfahrt. Eine schmale Einfahrt mit jedoch 8 Meter Wassertiefe führt nach knapp einer Meile zu einem wunderschönen geschützten Plätzchen, welches von ca. 1-Meter-großen Medusen mit langen Tentakeln (nennt man die so?) bevölkert wird. Aua, aua! Es wird Badeverbot ausgesprochen!

Und weiter geht es! Das gnädige Hoch beschert noch immer beste Bedingungen und auch dank einer vorausschauenden Dieselbevorratung müssen wir nicht den 130-Meilen-Umweg über Puerto Natales zum Nachtanken einschlagen, sondern können direkt Puerto Eden ansteuern. Hoffentlich bekommen wir dort Nachschub? Der wackere Perkins hatte und hat in dieser Zeit die Hauptarbeit. Manchmal (zum Beispiel in der Magellanstraße) konnten wir segeln, manchmal können wir motorsegeln, oft allerdings kommt der Wind genau von vorn. Die engen Wetterfenster erlauben dann leider kein Trödeln…

Am letzten Tag des stationären Hochs haben wir genug Zeit zusammengerafft um auch mal die Sehenswürdigkeiten zu berücksichtigen. Heute wollen wir den Gletscher Asia in der Estero Peel besuchen! Eine zunehmende Dichte von Eisbrocken, welche sorgsam umfahren werden müssen, lassen die Gletschernähe erahnen. Das Wasser wird tiefgrün und fröhliche Delphine umtanzen das Boot. Und dann ist das Segelschiff Esmeralda mitten im Eis, vor uns der tiefblaue Gletscher, der donnernd immer wieder neues Eis in die See stürzen lässt. In wohl seltener Weise (das Segelhandbuch spricht von beständig schlechtem Wetter an dieser Stelle) strahlt die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. In respektvoller Stille genießen wir diesen Anblick und sind uns bewusst, was für ein Glück es ist, dies sehen zu können.

Außerdem treffen wir hier auch noch ein Fischerboot, welches Gletschereis zur Kühlung des Fangs einsammelt. Wir tauschen einen Liter Wein gegen einen riesigen Lachs und für 2 Tage wirft die vegetarische Besatzung ihre Prinzipien über Bord und genießt diesen edlen Fisch!

Dann ist es vorbei mit dem schönen Wetter. Starkwind (natürlich von vorn), Regen, Kälte. Aber bis Puerto Eden ist es nicht mehr weit und am 25.2. sehen wir nach fast 3 Wochen wieder einmal die ersten menschlichen Behausungen (und einen kleinen Balken des Netzwerkbetreibers auf dem Fernsprechgerät).

Erstaunlicherweise ist fast zeitgleich auch unser französischer Freund Sebastien hier eingetroffen. Wir hatten in zwei Buchten zusammen gelegen, uns dann aber aus den Augen verloren. Es herrscht Frohsinn in der Ankerbucht von Puerto Eden!

Am Abend ist noch Zeit für einen kleinen Ortskontrollgang. Wurde Puerto Eden in älteren Segelbüchern als verwahrloster Ort beschrieben, so ist anscheinend viel passiert in den letzten Jahren. Wir empfinden den Ort als recht gepflegt und gar nicht so klein wie erwartet. Überall blühen Blumen und außerdem sind die Häuser geschmückt, findet doch morgen das Fest zum 53. Jahrestag von Puerto Eden statt. Trotzdem fragen wir uns, was die Menschen hier hält. Laut unserem Segelführer soll Puerto Eden der einsamste und regnerischte Ort der Welt sein. Es gibt keine Möglichkeit, den Ort auf dem Landweg zu verlassen. Es gibt keine kulturellen Angebote, kein Restaurant und lediglich ein paar kleine Läden mit sehr begrenztem Angebot. Die Menschen leben vom Fischfang, was jedoch seit dem Auftreten von mareja roja (einer giftigen Algenart, welche sich in Meereslebewesen anreichert) sehr kompliziert geworden ist. Ein um 25 Prozent höheres Einkommen gegenüber „normalen“ Plätzen soll die Menschen hier halten, hören wir.

Der nächste Tag steht ganz im Zeichen der Dieselbeschaffung. Jose, ein älterer Herr, ist der Herrscher über viele Kraftstoff-Fässer, welchen wir vormittags aufsuchen. Allerdings, so ist die Antwort auf unsere Anfrage, hätte er keinen Diesel für uns. Vielleicht in einem Monat… Wir haben jedoch nunmehr genug Südamerika-Erfahrung, als dass wir dies allzu ernst nehmen würden. Man lädt uns zu einem Cafesito ein und wir warten erst mal ab. Nach 1,5 Stunden und ein paar Telefonaten können wir plötzlich unsere Kanister per Handpumpe füllen, deren Inhalt dann in unseren Tank landet. Zur 2.Runde für die Erneuerung unserer Vorräte geraten wir genau in die Vorbereitungen zum Mittagessen. So lädt man uns erst mal wieder ein und wir erleben ein ausgedehntes Speisen mit 4 Gängen, welches sich so hinzieht. Erst gegen 16 Uhr können wir unsere Behältnisse wieder füllen und nach all der Einsamkeit der letzten Tage empfinden wir jetzt eine leichte Überdosis sozialer Kontakte. Von dieser können wir uns aber kaum erholen, da wir zum Jahrestagsfest des Ortes geladen sind und nun zum Abend das gesamte Dorf im Festsaal erleben dürfen. Fast jeder Einwohner wird für irgendwas ausgezeichnet, dann wird gesungen und Torte gegessen. Wir erfahren viel über das Leben hier und die hier lebenden Menschen. Letztere sind ein bunter Mix aus Indigenen, hier geborenen Weißen und Zugezogenen. Und jede Menge Spaß haben wir auch noch!

Am Sonntag haben wir dann ein paar Menschen, die wir näher kennen lernen durften, zu uns auf das Boot eingeladen. Dies gestaltet sich recht kompliziert, herrscht doch wieder einmal recht kräftiger Wind und der übliche Dauerregen. Das Dinghy schwankt gewaltig, doch zum Glück landet keiner im kalten Wasser.

Abends dann hat Andres für uns gekocht. Wieder gibt es ein Vier-Gänge-Menü und lustige wie auch interessante Gespräche. Was für nette Menschen! Sollten wir doch in Puerto Eden bleiben?

23.01 – 05.02.22 Puerto Williams (Chile)

Nach der traurigen Verabschiedung von unseren schweizer  und deutschen Freunden sowie von unserem Lieblingshafenmeister Urka legen wir ab.

Zwar scheint die Sonne, jedoch weht gerade heute ein seltener Ostwind, obwohl wir doch gerade zufällig ostwärts nach Puerto Williams müssen. Wir können es uns nicht aussuchen, da wir nach der gestrigen Ausklarierung nur 24 Stunden Zeit für die Abreise haben. Per Funk melden wir uns bei unseren Freunden von der Prefectura ab. Man versucht uns noch einmal zu verwirren: Angeblich hätten wir uns für die Reise nach Puerto Deseado abgemeldet und jetzt sind die Kollegen erstaunt, dass wir nach Puerto Williams wollen! Es vergehen bange Minuten in der Erwartung, dass man uns wieder zurückbeordern will, aber wunderbarerweise stimmt man nach einiger Zeit unserem Begehren zu. Auf Wiedersehen, Argentinien! Wir haben hier tolle Menschen kennengelernt, anspruchsvolle Segelabenteuer erlebt und diese grandiose Natur genießen dürfen.

Schon im Beagle-Kanal werden wir von Puerto-Williams-Radio angerufen und später dann auf einen Ankerplatz vor der Hafeneinfahrt in die Nähe des Flughafens beordert. In quälend-komplizierten Funkdialogen versuchen wir der Capitania klarzumachen, dass wir alle notwendigen Formalitäten bereits erledigt und per Mail eingereicht haben. Erschüttert erfahren wir, dass angeblich nichts davon beim Adressaten angekommen ist und wir somit nochmals alles abschicken müssen. Letzteres ist nun aber unmöglich, da wir keine chilenische SIM-Karte haben und somit kein Internetzugang für uns besteht. Hier schaltet sich nun wunderbarerweise Zeek ein, ein Segler unbekannter Nationalität, welcher den Funkverkehr mitgehört hat und für uns übersetzt und zu vermitteln versucht. Er verspricht uns, am Montag eine SIM-Karte zu besorgen und uns zum Boot zu bringen. Wir dürfen natürlich nicht von Bord und können nur abwarten. Und jetzt wird es still! Anscheinend kümmert sich behördlicherseits niemand um uns mehr.

Am nächsten Tage bringt Zeek uns tatsächlich die SIM-Karte und wir schicken wiederum unseren vermeintlich gültigen Mobilitätspass, unsere Corona-Test-Ergebnisse und alle weiteren Unterlagen an die Gesundheitsbehörde und die Capitania.

An dieser Stelle bitten wir den geduldigen Leser um Nachsicht. Vermutlich ist nicht jeder an all dem Behörden-Hin-und-Her interessiert. Für uns geht es aber um die Möglichkeit, entweder die nächsten Monate nicht das Land betreten zu dürfen oder aber mit einem Visum normal durch Chile reisen zu können. Außerdem mag es Reisende geben, die vor ähnlichen Problemen wie wir stehen und mit den Informationen etwas anfangen können.

Entscheidend ist die Zustimmung der örtlichen Gesundheitsbehörde, welche Natalia hier in Puerto Williams als Alleinherrscherin verkörpert. Wir drangsalieren sie mit unzähligen Mails und bekommen als Antwort undurchschaubare seitenlange Gesetzestexte zugesandt. Irgendwann begreifen wir, dass unser Mobilitätspass ungültig ist (was äußerlich nicht ersichtlich war), da unbegreiflicherweise nur die Corona-Erstimpfung Berücksichtigung fand. Wir reichen also nochmals sämtliche QR-Codes der beiden Impfungen bei der Gesundheitsbehörde ein und warten. In den nächsten 4 Tagen passiert NICHTS! Ohne viel Hoffnung verbringen wir nutzlose Tage an Bord. Es regnet, es weht ein heftiger Wind und es ist kalt! Am Freitag endlich bekommen wir eine Antwort: Der Mobilitätspass des männlichen Besatzungsmitgliedes wurde abgelehnt, da angeblich kein QR-Code eingereicht wurde, während ein paar Stunden später das weibliche Besatzungsmitglied einen gültigen Pass erhält. Bei beiden Personen wurden identische Daten eingereicht. Es verstärkt sich der Gedanke, dass die Behörden uns alle verfügbaren Steine in den Weg zu rollen gedenken. Mittlerweile hat eine weitere hilfreiche Seele (Lalo) ein Treffen mit dem Hafenkapitän und schildert ihm wohl unsere Situation. Zeitgleich schalten wir jetzt die deutsche Honorarkonsulin aus Punta Arenas ein und schreiben eine Beschwerde an die Gesundheitsbehörde. Wir können nicht nachvollziehen, was nun die Angelegenheit in Bewegung brachte, aber zum Freitag-Nachmittag ändert sich das Wetter. Im realen wie im übertragenen Sinne! Wir bekommen Besuch von der Capitania, welche uns freundlich zum Einlaufen in den Hafen bittet. Der Grund ist erstaunlicherweise, dass wir mit unserem Boot den Flugverkehr des nahen Airports behindern. Wir sind glücklich, haben wir doch jetzt einen Fuß in der Tür. So schnell wird man uns jetzt nicht mehr los! In strahlendem Sonnenschein laufen wir ein und legen uns an eine freie Mooring.

Hector, unser Bekannter aus Ushuaia, legt unsere Papiere bei der Capitania vor und bringt auf dem Rückweg nochmals einen Mitarbeiter der Hafenbehörde mit, welcher uns erklärt, dass wir noch bis Sonntag Quarantäne einhalten müssen. Sollte uns Natalia (die Gesundheitsbehörde) absegnen, könnten wir dann auch einklarieren. Um das Wunder nun noch zu komplettieren, bekommt zum Abend auch der Maschinist seinen gültigen Mobilitätspass. Außerdem schickt uns Natalia erstmals eine Mail mit persönlichen Worten an die Besatzung des Segelschiffes Esmeralda. Wir schicken ihr unsere jetzt neuerdings kompletten Unterlagen zu und werden zum Antigen-Test am Montag eingeladen. Wir wissen nicht, was hier passiert ist, genießen aber einfach dieses große Glück! Unser Glück wird noch begreiflicher, als wir von den Dauerliegern erfahren, dass in den letzten Monaten alle Segler, welche Einlass begehrten, wieder weggeschickt wurden und wir somit die ersten Ausländer sind, die in Puerto Williams einreisen durften.

Der Test am Montag ist natürlich negativ und jetzt können wir das Affidavit (C19) beantragen, welches nunmehr online ohne Komplikationen möglich ist. Zwar beginnt von Seiten der Gesundheitsbehörde theoretisch nun erst unsere Quarantäne (wir müssen täglich unseren Gesundheitszustand online melden), aber Natalia gibt uns frei und wir können unsere Einklarierung in Angriff nehmen. Ach, Kinder, wie ist es nicht schön!

Puerto Williams, die südlichste „Stadt“ (Gemeinde?) der Welt, ist völlig anders als Ushuaia. Während auf der argentinischen Seite des Beagle-Kanals das Leben pulsierte, so scheinen hier die Kühe und Pferde das Regime zu führen. Selbige laufen frei durch die Ortschaft und genießen anscheinend zügellose Freiheit. Menschen dagegen sieht man kaum und wenn, dann in der Uniform der Armada, welche hier das Leben zu dominieren scheint.

Man grüßt sich freundlich auf der Straße. Schnell erkennt man Gesichter wieder; der Ort ist nicht sehr groß. Auch bei der Policia Federal kennt man uns schon. Eigentlich war schon Mittagsruhe, die nach Hause gehenden Beamten haben uns aber gesehen und kehren wieder zurück. Nach 2 Minuten Wartezeit hören wir den Stempel, welcher schwungvoll in unserem Pass landet und wir sind offiziell im Lande! Nach all den Unabwägbarkeiten der letzten Tage, Wochen und Monate ist das für uns nicht selbstverständlich!  Auch in der Capitania und beim Zoll ist alles schnell erledigt! Jetzt gilt es Chile zu entdecken.

Am Hafen bleiben wir vor dem vermutlich schönsten Vorgarten in Puerto Williams stehen. Hier kann man eine Menge Gemüse bewundern, welches sich unter diesen zumeist widrigen Bedingungen dem grauen Himmel entgegenstreckt. In diesem Moment spricht uns der Hausbesitzer an und wunderbarerweise kann er uns gleich zuordnen. Er ist Schweizer und kennt damit unseren schweizer Freund Rene, welchen wir in Ushuaia kennenlernen durften und welcher von ihm über unsere Ankunft informiert wurde. Wir vereinbaren, am Tage vor unserer Abreise noch einmal vorbeizukommen um frisches Gemüse zu erstehen.

Wir besteigen den Cerro la Bandera. Wie schön ist es, nach der langen Ruhezeit in der Quarantäne wieder die Beine zu beanspruchen. Witzigerweise muss man am Beginn des Wanderweges sich registrieren (Kollege1) und dann eine Erklärung bezüglich der Wanderroute (Kollege 2; „Über dem Weg liegende Bäume entweder überklettern oder unten durchsteigen!“) entgegennehmen. Was Kollegin 3 für eine Aufgabe hat, erschließt sich uns nicht. Es scheint so, als wenn wir die einzigen Wanderer des Tages sind und sicher gibt es da auch für sie genug zu tun. Der Wald ist wunderschön und naturbelassen, die Ausblicke über Feuerland und den Beagle-Kanal atemberaubend. Das Glück wird vollständig, als wir den Carpintero negro (Schwarzspecht) in einem Baum bei der Arbeit entdecken.

Das örtliche Museum ist einem wunderschönen Holzbau untergebracht. Es steht das Leben der Ureinwohner im Vordergrunde. Immer wieder sind wir völlig erstaunt, wie diese Menschen mehr oder minder unbekleidet hier unter diesen rauen Bedingungen überleben konnten. Beeindruckend sind auch die historischen Fotos von Gletschern der näheren Umgebung. Aus gleicher Perspektive 100 Jahre später aufgenommene Bilder zeigen den dramatischen Rückgang dieser Formationen.

So wohl wir uns hier fühlen, so nahe uns gleich so viele Menschen hier sind, im Vordergrunde steht unsere Weiterreise! Wir wollen nicht lange hier verharren, sondern die noch erträglichen „Sommer“-Temperaturen und die langen Tage für die lange Fahrt durch die patagonischen Kanäle nutzen. Bis Puerto Montt sind es ungefähr 1500 Meilen durch kaum besiedelte Natur, vorbei an Gletschern und einsamen Ankerbuchten. Einkaufsmöglichkeiten wird es nur sporadisch geben und so gilt es sich auf alles vorzubereiten. Wir versuchen, nochmals Grundnahrungsmittel und frisches Obst und Gemüse zu erstehen. Diesbezüglich ist Puerto Williams dem argentinischen Nachbarort völlig unterlegen. Frischware kommt lediglich am Sonnabend per Fähre hier an. Jetzt mitten in der Woche ist das Angebot dürftiger, aber für uns ausreichend.

Wir unterhalten uns mit kanadischen und französischen Seglern, welche unsere geplante Route teilweise schon mehrfach befahren haben und wir erhalten wertvolle Hinweise und Ratschläge! Und resultierend aus diesen Ratschlägen wollen wir nochmals unseren Dieselvorrat aufstocken. Kanister gibt es hier nicht zu kaufen. Wir fragen alle möglichen Menschen und geraten schließlich an einen Werftarbeiter im Fährhafen, welcher uns verspricht, einige dieser hier wertvollen Behältnisse zu besorgen. Zum verabredeten Treffpunkt am nächsten Tage stehen wir natürlich alleine in der Werfthalle (wir sind in Südamerika!) und gehen nach 15 Minuten wieder los. Jedoch hält irgendwo auf der Straße ein Pickup neben uns und wir können uns ein paar Kanister von der Ladefläche holen. Geld will unser neuer Freund eigentlich nicht dafür… Wunderbarerweise taucht in diesem Moment Osvaldo, ein Deutsch-Chilene, welchen wir am Tage zuvor in der einzigen geöffneten Gaststätte kennengelernt hatten, auf und bietet uns an, Einkäufe und ähnliches per Auto zum Hafen zu fahren. Großartig! Also fahren wir gleich zur Tankstelle und füllen die Kanister mit dem bald so wertvollen Diesel.

Später treffen wir uns noch einmal mit Osvaldo, welcher hier seit Jahren mit seinem Boot und Chartergästen unterwegs ist. Auch vom ihm erhalten wir nützliche Informationen zu der momentanen Wetterlage (Sturm sowohl am kommenden Mittwoch wie auch Freitag!) und den dafür besten Ankerbuchten. Abreisetag ist nun Sonntag (nicht wie geplant Sonnabend), da wir bei den derzeitigen Windverhältnissen nicht zu weit westlich geraten sollten und die günstigen Ankerbuchten nicht allzu weit entfernt sind. Mit diesem Wissen gehen wir dann am Sonnabend-Nachmittag zur Capitania und erhalten ohne Probleme unser Zarpe für die Fahrt nach Puerto Montt. Bestimmte Kanäle und bestimmte Ankerbuchten dürfen auf diesem Wege aus unbekannten Gründen nicht befahren werden, teilt uns der sehr freundlichen Beamte mit, aber wir gewinnen im Gespräch auch den Eindruck, dass man das alles auch nicht so genau nimmt. In Chile ist es Pflicht, dass man einmal am Tage seine Position per Funk oder Mail sendet, was wir natürlich versprechen zu tun! Dann verabschieden wir uns von den vielen freundlichen Menschen, die wir in so kurzer Zeit kennenlernen durften und machen das Boot startklar.