08.08. – 31.08.23   Der Weg nach Samoa

Die Reise nach Samoa beginnt am 8.8. um 16 Uhr. Der Wetterbericht scheint zu stimmen: Der Wind frischt langsam auf und dreht wohl auch auf Süd! Großartig! Wir haben uns, wie meist vor einer längeren Fahrt, ein Süppchen gekocht und auch noch den Dieseltank sicherheitshalber aufgefüllt. Übrigens hatten wir letztmalig in Valdivia vor einem Jahr einen Tankstopp eingelegt. Nun bedurfte es nur knapp 200 Liter Diesel Nachfüllung, was doch gar nicht so viel ist für die lange Strecke bis hierher.

Vorbei geht es an Bora-Bora und Maupiti, und so langsam verlassen wir das Hoheitsgebiet von Französisch-Polynesien. Samoa ist noch 1200 Meilen entfernt und es stellt sich die übliche Bordroutine allmählich wieder ein. Bald weht auch der Wind aus seiner vorherrschenden Richtung Südost und es gibt nicht mehr so viel zu tun. Mal eine Halse, wenn die Windrichtung sich etwas ändert, mal ein Reff ins Großsegel binden, wenn der Wind über Gebühr auffrischt und dann eben auch mal wieder ausreffen. Da zwischenzeitlich der Wind etwas schwächelt, können wir unseren neuen Parasailor mehrere Tage nutzen und mehr Erfahrungen im Umgang mit diesem sammeln. Es ist ein Vergnügen, mit diesem Segel zu segeln, erfordert es doch nicht so viel Aufmerksamkeit beim Setzen oder Bergen und bringt auch einen ordentlichen Geschwindigkeitsgewinn.

Damit dann diese sonst eher unaufgeregte Fahrt doch einen berichtenswerten Höhepunkt findet, passiert Folgendes:

Wir segelten ja die gesamte Zeit mehr oder minder direkt vor dem Wind. Unsere Windsteuerung liebt diesen Kurs nicht so sehr und erlaubt sich immer mal eine kleine Abweichung vom Generalkurs, was dazu führen kann, dass das Großsegel dann backsteht (also zur falschen Seite sich füllt), was auf Dauer natürlich nicht so gut ist. Irgendwann passiert dies also wieder einmal, diesmal jedoch mit etwas mehr Geräuschkulisse und -ohgottohgottohgott- das Segel ist gerissen. Hübsch an einer Naht zum Glück (man kann es reparieren), aber vorerst fällt dieser Teil der Beseglung für die Weiterfahrt aus. Wir machen dem Segel keinen Vorwurf: Artig hat es all die Jahre tapfer gearbeitet und im Unterschied zu dem Vorsegel ist es nicht neu, sondern hat ein für uns unbekanntes Alter. In den letzten Monaten haben wir oft schon lose Nähte nachgenäht und jetzt ist dann doch der Zeitpunkt für eine Generalreparatur gekommen. Ob wir auf Samoa einen Fachmann dafür finden?

Riss im Großsegel

Egal, jetzt geht es nur noch mit dem Vorsegel weiter und die kleine Kutterfock darf auch mal wieder als eingeschränkte Passatbesegelung auf der gegenüberliegenden Seite zum Gelingen der Expedition beitragen. Eigentlich sind wir Dank des frischen Windes so auch nicht viel langsamer.

Am 17. August ziehen dann die Inseln von Amerikanisch-Samoa an uns vorbei. Wir hatten über einen Zwischenstopp hier nachgedacht, haben uns dann aber doch wegen einiger Negativ-Informationen für die Durchfahrt in das unabhängige (West-)Samoa entschieden. Wie wir später von Seglern, die dort waren, hörten, war diese Entscheidung sicher richtig: Amerikanisch-Samoa ist sehr streng religiös. Man darf beispielsweise zu den Gebetszeiten nicht auf den Straßen flanieren. Restaurants gibt es nicht (bestenfalls McDonalds), Fußgänger sind wie im Mutterland eine suspekte Klientel (man fährt Auto und zwar ein möglichst unökologisches Fahrzeug) und die Menschen sind dementsprechend außergewöhnlich verfettet.

So ziehen wir weiter, passieren unbehelligt die Datumsgrenze, welche zwischen Ost- und West-Samoa verläuft und sind nun der Heimat plötzlich einen halben Tag voraus.

Ankerplatz in Apia

Nach 9,5 Tagen, am 19.8. (man beachte, dass uns ein Tag durch die Datumsgrenze geraubt wurde), laufen wir in aller Frühe in den Hafen von Apia, der Hauptstadt Samoas ein. Immer wieder werden wir von unserer Leserschaft gefragt, wie denn das Einklarieren in einem fremden Lande erfolgt! (Wer fragt denn so einen Blödsinn? Leserschaft!!! Ha! Der Proweider) Dies ist natürlich in jedem Lande etwas anders. Hier versuchen wir bei Einfahrt in den Hafen Funkkontakt zu den Hafenbehörden aufzunehmen, was erst nach mehreren Versuchen gelingt. Brav haben wir uns eine Gastland-Flagge gebastelt und diese samt der gelben Quarantäne-Flagge unter die rechte Saling gesetzt, welche den Wunsch nach Einklarierung unterstreichen soll. Wir suchen uns einen Ankerplatz und nerven weiter per Funk, wollen wir doch heute noch (einem Samstag!) alle Formalitäten erledigen. Vorher können wir ja nicht an Land. Irgendwann kommt der erste Gesandte des Landes, der Gesundheitsexperte, per Boot zu uns. Beim Übersteigen zu unserem Boot fällt er leider ins Wasser und verzichtet nun auf eine Bootsbesichtigung. Wir geben ihm eine Crewliste und machen ein paar Angaben, fertig.

Nun kommt ein Abgesandter des Hafenmeisters an Bord. Es werden ein paar Formulare ausgefüllt, jedoch im Wesentlichen scheint es seine Aufgabe zu sein, uns in die derzeit wohl nicht gut gefüllte Marina zu locken. Wir können uns dem jedoch erwehren und bleiben lieber draußen vor Anker. Mögen wir halt lieber…

Jetzt heißt es wieder warten. Irgendwann erhalten wir per Funk die Anweisung, weitere Beamte per Dinghy vom Land abzuholen. Dort finden sich zwei schwer übergewichtige Damen (Zoll und Immigration) und ein etwas sportlicherer Herr (mit für uns nicht erkennbaren Aufgaben). Beim Anblick unseres Mini-Dinghys entsteht sichtbare Unruhe unter den Damen und wir versuchen dies auszunutzen und die Herrschaften zu einer Einklarierungsprozedur jetzt gleich an Land zu überreden. Nein, das geht selbstverständlich nicht! Also hieven wir die Damen -den junge Mann natürlich auch- in das tief eintauchende Beiboot und tuckern mit viel Gegacker zurück zum Mutterschiff. Jetzt kommt der eigentliche Akt: Die Mädels müssen an Bord! Tatsächlich klappt es ohne größere Katastrophen und wir können die Getränkewünsche unserer Gäste entgegennehmen: Cola, Saft, Bier! Natürlich will jeder etwas anderes. Jetzt werden wieder reichlich Formulare ausgefüllt, unsere Pässe einkassiert (Werden wir die je wiedersehen?) und dann stampfen alle Drei durchs Boot. Man öffnet Schränke, wühlt in unseren Sachen und stellt Fangfragen „Wo habt ihr die Drogen eigentlich gelagert?“ „Wo sind die Feuerwaffen?“ Durch den reichlichen Umgang mit Einklarierungsbeamten in den letzten Jahren sind wir natürlich clever genug, diesen Fangstricken zu entgehen! Und dann ist es soweit: Die Getränke sind getrunken, das Papier vollgeschrieben und es gilt, sich auf den Rückweg zu machen. Die Dame vom Zoll hat diesbezüglich eine große Idee: Da sie nicht mehr in das wacklige kleine Beiboot will, ruft sie die Marina-Chefin an, drückt mir das Telefon ans Ohr und erwartet, dass ich jetzt mit dem Segelschiff Esmeralda in der Marina anlege und die Damen dort ohne Lebensgefahr wieder an Land klettern können. Aber da weigern wir uns mal und die Mädels werden wieder von Bord gehievt und an Land verfrachtet. Auch das klappt ganz gut und der Hauptteil der Einklarierung ist damit erledigt. Ufff! Wir wischen uns den Schweiß von der Stirn. Ab jetzt sind wir freie Menschen und dürfen an Land. Wir testen unsere 10 Tage außer Verkehr gewesenen Beine, besorgen die für den Kontakt zur Außenwelt so notwendige neue SIM-Karte samt Startvolumen und trinken ein erstes Willkommensbier. Unsere Ausweise bekommen wir übrigens problemlos am nächsten Tage abgestempelt im Immigrations-Büro. Ja, so einfach ist das!

Auch einen Fachmann für unser krankes Großsegel finden wir dank der Hilfe der Marina-Chefin. Es ist zwar kein Segelmacher, dafür aber ein sehr freundlicher Polsterer, der die Spezialnähmaschinen hat und in guter Qualität die Schäden reparieren kann.

Jetzt kann also der touristische Erlebnisbereich starten. Unglücklicherweise ist aber erst einmal Sonntag. Sonntags ist hier so gut wie nichts möglich. Die Samoaner gehen in die Kirche (meist mehrmals am Sonntag), sitzen zu Hause in den Familien-Clans und machen mal gar nichts. So erstirbt das städtische Leben fast komplett und für fast alles sollte man lieber den Montag abwarten.

Am Montag gelingt es uns dann auch ein Auto zu mieten (ach du meine Güte: Linksverkehr!) und wir umrunden die wirklich wunderschöne Insel an den nächsten beiden Tagen. Wir sehen Wasserfälle in großer Zahl, wandern an Flüssen und der aufregenden Küste entlang und treffen immer wieder hinreißend freundliche Menschen, welche uns fast immer ähnliche Fragen stellen: „Wo kommt ihr her?“ „Wie gefällt euch die Insel?“ Man ist zu Recht sehr stolz auf diese wunderschöne und Dank des reichlichen Wassers sehr grüne Insel. Wir fühlen uns von Anfang an sehr wohl hier!

Auffällig ist, dass man die lieben Angehörigen gerne unter hohen Granitbergen vor dem Haus beerdigt. Also nach dem Ableben. Manchmal sind die Gräber auffälliger als die Häuser.

Die Dörfer sind recht einheitlich dekoriert, zumeist mit liebevoll angepinselten Autoreifen, welche dann bepflanzt wurden. Wir hörten, dass solche bedeutsamen Entscheidungen von den Clans bindend für alle Einwohner festgelegt werden. Erstaunlich sind auch die Zahl und die Größe der Kirchen eines jeden Dorfes. Man bekommt den Eindruck, dass jede Familie über einen eigenen Kirchenbau verfügt. Wie wir hörten, bezahlen dies die Kirchgänger. Gemeinerweise wird die Menge des gespendeten Geldes eines Jeden der Allgemeinheit mitgeteilt!

Andererseits empfinden wir Samoa als unerwartet kultiviert. Es gibt schöne Cafés, stilvolle Restaurants und Städte wie Dörfer sind sehr gepflegt. Leider sind aber auch hier einige Menschen extrem übergewichtig.

Das sehr sehenswerte R.L.Stevenson-Museum liegt in einem genauso schönen botanischen Garten und gibt einen Einblick in die letzten Lebensjahre des Autors, der hier ein beeindruckendes Anwesen hatte. Hier schrieb er noch eine große Zahl von Büchern, bevor er dann mit 44 Jahren an einem Schlaganfall, bedingt durch die langjährig-bestehende Tuberkulose, starb. Beerdigt wurde er übrigens mit seiner später verstorbenen Ehefrau auf dem nahen Hausberg, welchen wir natürlich auch erklimmen.

Damaliges Anwesen und heutiges Museum von Robert Louis Stevenson

Unseren abendlichen Stadtbummel beenden wir fast regelmäßig an einem Eisladen, der nicht nur bestes Speiseeis verkauft, sondern prinzipiell immer zum gleichen Preis doppelt so viele Kugeln in die Waffel drückt als bestellt wurden. Seltsam. Aber es gibt Schlimmeres. Eines Abends hören wir in der Warteschlange deutsche Laute und so richten wir unser Wort an Dieter und Eric. Ersterer lebt schon längere Zeit mit seiner samoanischen Frau Kalala hier auf der Insel und Eric ist ein alter Freund, welcher regelmäßig für einige Monate zu Besuch kommt. Wir werden zum Treffen der auf der Insel lebenden Deutschen in den nächsten Tagen eingeladen und lernen hier auch Christa, die deutsche Honorarkonsulin, samt Ehemann und Sohn (2x Stefan) kennen. So erfahren wir aus erster Hand einige wichtige Informationen über die Insel und die Menschen. Man lebt hier sehr eng in den Familien-Clans. Wandern Familienangehörige zum Arbeiten in das bessergestellte Amerikanisch-Samoa oder gleich nach Neuseeland aus, so sind sie gezwungen, die Familie zu Hause mit Geld zu unterstützen. Damit lässt sich erklären, warum viele Einheimische beispielsweise recht große Fahrzeuge fahren, welche mit dem hiesigen Stundenlohn von 3-5 Tala (1-1,5 Euro) nicht bezahlbar wären. 

Später besuchen uns Kalala, Dieter und Eric an Bord und im Gegenzuge erleben wir danach einen wunderbaren Abend im von einem tropischen Garten umgebenen Haus von Kalala und Dieter.

Kaffebesuch von Eric, Dieter und Kalala

Von 1855 bis zum Ersten Weltkrieg erhob die deutsche Regierung Besitzansprüche auf West-Samoa. Es gab deutsche Handelshäuser und einen deutschen Hafen nahe Apia, der Hauptstadt. Aber auch die USA und Großbritannien interessierten sich für die Insel und es kam zu offenen Auseinandersetzungen. Nachdem ein Zyklon am 13.März 1889 die deutschen und amerikanischen Kriegsschiffe versenkte, wobei auch sehr viele Besatzungsmitglieder den Tod fanden, einigte man sich erstaunlicherweise auf eine harmonische Form der Gewaltenteilung: Samoa wurde ein „unabhängiges“ Königreich unter dem Protektorat der drei Großmächte. Im Ersten Weltkrieg wurde dann Samoa von Neuseeland besetzt und dies war dann auch das Ende deutscher Kolonialbestrebungen an diesem Platz der Welt.

Es gibt noch wenige Orte der Erinnerung an die „deutsche Zeit“ hier in Samoa. Wir hören aber immer auch wieder von den Menschen, dass die Deutschen eher positiv im Gedächtnis der Menschen einen Platz gefunden haben: Ingenieurskunst, sich widerspiegelnd in Brücken und Bauwerken, Ordnung und Pünktlichkeit und die Einführung von Gesetzen. Eine letzte Erinnerung an diese Epoche dürfte die tägliche Fahnenzeremonie in Apia sein: Pünktlich um 8.45 Uhr marschiert ein Orchester mit einem Trupp Uniformträger (Männer in Lavalava-Röckchen, Frauen zumeist in Hosen) und zackiger Marschmusik vom Polizeihauptquartier zum Regierungsgebäude. Dort wird dann in einem strengen Ritual die Landesflagge am Landesflaggenmast befestigt.

Samoa ist für uns wirklich ein sehr besonderer Ort. Sicherlich fällt es uns im Vergleich zu Französisch-Polynesien leichter (alle Menschen sprechen neben Samoanisch auch bestes Englisch) Kontakte zu den hier Lebenden zu knüpfen. Da nur wenige Segler hierher finden und auch der Tourismus nicht sehr ausgeprägt ist, zeigen sich die Menschen sehr interessiert an den Durchreisenden. Aber auch die gepflegten Grünanlagen, die Bestrebungen, einer Vermüllung entgegenzuwirken, die Bemühungen, die vielen endemischen Tier- und Pflanzenarten zu erhalten und die fröhliche und unbeschwerte Lebensweise der Menschen gefallen uns sehr.

Trotzdem müssen wir irgendwann weiter. Fiji ist das nächste Ziel, jedoch hemmt tagelang ein Starkwindfeld genau auf dieser Route unseren Bewegungsdrang. So warteten wir mal lieber ab. Am 1.9. jedoch hat es sich ausgetobt und es öffnet sich ein Wetterfenster wenigstens für 5 Tage. Dies muss genutzt werden: Am 31.8. klarieren wir aus, bezahlen diverse Gebühren für Ankerplatz und Zoll und verabschieden uns von den Bekannten auf der Insel und in der Marina. Morgen geht es los!

Lebensmotto